Mithilfe eines staatlichen Zertifikate-Handels wächst in China der Markt für Elektromobilität rasant. Auch die Bundesrepublik hätte einige neue Instrumente zur Hand, um die heimische E-Auto-Industrie zu stärken.
China steht beim Thema E-Mobile schwer unter Druck: Weil es mit Dumping-Exporten in großem Stil Europas Autoindustrie gefährdet, verhängte die Europäische Union (EU) Strafzölle von je nach Hersteller bis zu 38 Prozent. Jetzt wird verhandelt. Doch das Reich der Mitte verdient eine differenzierte Betrachtung. Firmen wie SAIC, BYD, BAIC und Geely kommen nicht nur über Exporthilfen zum Erfolg. Sie finden auch enorm viel Kundschaft im eigenen Land.
Der Anteil rein elektrisch angetriebener Pkw ist in China gut dreimal höher als im EU-Durchschnitt
In China fuhren laut der Internationalen Energieagentur im vergangenen Jahr acht Prozent aller Pkw ganz oder zum Teil elektrisch, in Deutschland fünf Prozent – und der Vorsprung vergrößert sich rasant. Bei den Neuzulassungen lag der Anteil der rein elektrisch angetriebenen Pkw im Mai dieses Jahres bei 40 Prozent, gut dreimal so hoch wie im EU-Durchschnitt. 2025 werden es wohl schon über 50 Prozent sein. Die Schadstoff-Belastung und der Lärmstress etwa in der Hauptstadt Peking haben sich merklich verbessert.
Dass China bei der E-Mobilität seit 2021 durchgestartet ist, liegt auch an staatlichen Hilfen. So erhielt BYD 2022 umgerechnet 2,1 Milliarden Euro direkte Subventionen, 3,5 Prozent des Umsatzes. Doch eine wichtige Rolle spielte ein bei uns kaum wahrgenommener Kurswechsel: die Einführung der Doppelzertifikat-Politik (Double Certificate Policy). Der Staat gibt chinesischen Autoherstellern für ihre Neuverkäufe Zielwerte für „Corporate Average Fuel Consumption“ und „New Energy Vehicle“-Anteile vor. Für das Überschreiten bekommen Firmen regulatorische Gutschriften – die sie an andere Firmen verkaufen können, die damit ein Unterschreiten ausgleichen.
Der Staat hat damit einen Marktplatz für Fortschrittsbemühungen geschaffen. Der Zertifikate-Handel bietet chinesischen Autoherstellern Anreize, mehr E-Autos zu bauen und gleichzeitig die Kraftstoff-Effizienz ihrer verbliebenen Verbrenner zu verbessern. Im Ergebnis zahlen die Hersteller von klimaschädlichen Dreckschleudern Geld in ein System, aus dem ein Bonus für effiziente Elektroautos finanziert wird. Diese Selbstfinanzierungsstrategie hat ein rasantes Marktwachstum ermöglicht – und hier kommt man ohne Einsatz von Steuergeldern aus.
Abruptes Ende der Kaufprämie hat hierzulande die Fortschritte der E-Mobilität erheblich gebremst
Hinzu kommen administrative Maßnahmen auf lokaler Ebene. Die Busflotte der drittgrößten Stadt Shenzhen ist schon seit 2017 rein elektrisch. Die Infrastruktur von Ladestationen und entsprechenden Leitungsnetzen wird auch in kleineren Städten in rasantem Tempo ausgebaut. Auch vor Verboten macht die Politik nicht halt, so werden in Peking Autos mit Verbrennermotoren nur noch eng begrenzt und quotiert zugelassen.
In Deutschland dagegen droht man bei derzeit 1,4 Millionen reinen Elektroautos die Zielmarke von 15 Millionen im Jahr 2030 deutlich zu verfehlen. Bei den Neuzulassungen geht der Anteil kaum noch hoch. Mit nur wenigen Tagen Vorlauf stellte die Regierung im Dezember 2023 die Kaufprämie für Elektrofahrzeuge ein – die abrupte Entscheidung hat die Fortschritte der E-Mobilität erheblich gebremst. Deshalb wäre es fatal, wenn die aktuelle Diskussion über chinesische Dumpingexporte den Blick verstellte fürs große Ganze. Die deutsche Politik muss mehr positive Akzente setzen, um der Autoindustrie künftige Marktanteile sichern zu helfen.
Zwischen 2030 und 2040 werden sich zentrale Märkte der Welt vom Verbrennermotor verabschieden. Japan, das den Fokus bisher auf Hybrid- und Wasserstoffautos legte, investiert nun massiv in diesen Sektor. Sein Anteil an den weltweiten E-Auto-Exporten soll laut Wirtschaftsministerium von 2,4 Prozent in 2022 auf 30 Prozent in 2030 steigen. Die USA stärken den Markt für Elektrofahrzeuge über eine Kombination aus Steueranreizen, Kraftstoffeffizienz-Standards, Infrastruktur-Investitionen und auch direkten Firmensubventionen. 2023 stieg dort die Zahl der Neuzulassungen reiner Elektroautos um 40 Prozent.
Die deutsche Politik muss mehr positive Akzente setzen, um künftige Marktanteile zu sichern
Um Deutschlands Zurückfallen zu stoppen und auch um Arbeitsplätze der Autoindustrie sichern zu helfen, haben wir im Expertenbeirat Klimaschutz in der Mobilität dem Bundesverkehrsminister eine Reihe von Politikinstrumenten ans Herz gelegt. Erstens die Kombination eines positiven Umweltbonus mit einer negativen CO2-Abgabe bei der Neuzulassung von Pkw. Ein solcher Ansatz, in Holland und Frankreich bereits praktiziert, wäre in seiner ökonomischen Wirkung vergleichbar mit der Double Certificate Policy in China.
Zweitens die überfällige Reform der steuerlichen Vorteile für Dienstwagen, nämlich ihre Limitierung auf rein elektrische Fahrzeuge. Und drittens eine Weiterführung und Stärkung der CO2-Bepreisung im Verkehrssektor im Rahmen des EU-Emissionshandels, sozial ausgewogen gestaltet durch Rückerstattung der Einnahmen als Klimageld.
Zuerst erschienen am 6. August 2024 im „Handelsblatt“.