Trotz „grüner Inflation“ den Kurs halten

Stahlwerk: Hier könnten Differenzverträge bei der Umstellung auf grüne Technologie helfen. | Foto: Shutterstock/mmuenzl

Im Einzelfall durchaus sinnvolle Differenzverträge werden zum Einfallstor für eine falsche Klimapolitik, warnen Ottmar Edenhofer und Veronika Grimm.

Die Inflationsangst ist zurück. Die Erholung der Konjunktur nach Corona sowie die Ukraine-Krise haben vor allem Erdgas stark verteuert. In Deutschland und Europa sorgt man sich um die allgemeine Preisstabilität. In den Fokus gerät auch zunehmend die marktwirtschaftlich ausgerichtete Klimapolitik, die gerade erst richtig gestartet ist. „Grüne Inflation“ heißt das Menetekel.

Gedeutet wird es so: Es gelte nun, die Preise am Strommarkt zu stabilisieren, unter anderem indem man die CO2-Bepreisung im EU-Emissionshandel für Energie und Industrie begrenzt. Dahinter steht ein neues klimapolitisches Paradigma: als Leitinstrument nicht marktwirtschaftliche Steuerung, sondern Subventionen. Dabei ist der Emissionshandel trotz der jüngsten Preisausschläge bei Weitem nicht der stärkste Treiber des hohen Strompreises, der Kostenschub kommt vor allem vom Gasmarkt.

Und wenn der Staat die aus dem Emissionshandel entstehenden Einnahmen konsequent und in geeigneter Weise rückerstattet, hat er die Auswirkungen an der Preisfront schon fast im Griff. Doch von der effizientesten Form, die Emissionen des wichtigsten Klimagases Kohlendioxid zu begrenzen, schwenkt der Blick jetzt um auf ein Instrument, das allenfalls in Spezialfällen sinn- voll ist: die sogenannten Differenzverträge. Wie funktionieren Differenzverträge?

Der Staat legt fest, welche Technologien gefördert werden sollen, zum Beispiel grüner Stahl, also das Befeuern von Hochöfen durch mit Grünstrom produzierten Wasserstoff. Da sich diese Technologien bei den derzeitigen CO2-Preisen nicht lohnen, ist der Staat bereit, Subventionen zu zahlen. Dabei legt er die Grenzvermeidungskosten für die geförderte Technologie fest – also den CO2-Preis, ab dem eine fossilfreie Stahlproduktionsanlage wirtschaftlich attraktiver wäre.

Bei umfassendem Einsatz droht der Wasserbett-Effekt

Die Festlegung erfolgt mit wissenschaftlicher Expertise, in Absprache mit dem Unternehmen oder per Ausschreibung. Die Differenz von aktuellem CO2-Preis und Grenzvermeidungskosten fließt dann als Subvention: Das Unternehmen rüstet auf die grüne Technologie um, spart also das Geld für den Emissionshandel und erhält gerade so viel Geld obendrauf, dass sich die Sache rechnet. Der Witz ist: Die Subvention sinkt, wenn der aktuelle CO2-Preis steigt, da der Staat ja nur die Differenz zu den vorab festgelegten Grenzvermeidungskosten zahlt.

Irgendwann ist sie null, das Unternehmen muss wieder ohne Hilfe klarkommen, der Emissionshandel erfüllt wieder seine Funktion – Treibhausgas zu bepreisen und zu vermeiden. Es scheint also auf den ersten Blick, als passe die Idee der Differenzverträge gut zum Emissionshandel. In der Tat können sie sinnvoll sein, wenn es gilt, Technologien vorübergehend zu fördern. Etwa weil zu erwarten ist, dass die Kosten durch Lerneffekte oder Hochskalieren der Produktion rasch sinken. Die Emissionszertifikate sollen ja schritt- weise verknappt werden, der CO2-Preis steigt also, das Subventionsvolumen sinkt.

Problematisch wird es jedoch, wenn Differenzverträge umfassend eingesetzt werden. Dann wirkt nämlich der Wasserbett-Effekt: Die derart mit Subventionen gepäppelten Firmen vermeiden zwar mit fossilfreier Technologie Emissionen, da sie aber keine Zertifikate mehr brauchen, wird die Verknappung konterkariert, der CO2-Preis steigt schwächer oder gar nicht mehr. Was wiederum bei Unternehmen ohne Differenzvertrag den Anreiz zum Klimaschutz schmälert. Dass die Politik den Wasserbetteffekt neutralisiert und die Zertifikate schneller als geplant verknappt, erscheint unrealistisch.

Schädlich für die Umstellung auf fossilfreie Stromerzeugung

Die Industrie jedenfalls würde dagegen Sturm laufen. Denn je mehr Differenzverträge sie hat oder in Aussicht gestellt bekommt, umso stärker ist ihr Interesse an einem niedrigen CO2-Preis, sprich hohen Ausgleichszahlungen. Die Unterstützung für den Emissionshandel, die sich in der Industrie gerade abzeichnet, würde schnell wieder erodieren. Die CO2-Bepreisung würde schleichend außer Kraft gesetzt, zugunsten von Subventionen über die Differenzverträge.

Der Preis dieser Politik ist hoch. Der Staat versucht, umfassend den technischen Fort- schritt zu planen, obwohl er dafür nicht die nötigen Informationen hat. Die Gefahr steigen- der Kosten und somit steigender Preise, mit der dieser Paradigmenwechsel begründet wird, ist nur vordergründig gebannt: Kontroverse Diskussionen um den „richtigen“ Technologiepfad, mit starker Einflussnahme von Interessen- gruppen, bremsen den Fortschritt beim Klimaschutz und machen ihn teurer.

Die Staatsausgaben für Subventionen belasten heutige und künftige Generationen. Am meisten zahlen die privaten Haushalte und kleinen Unternehmen drauf, die sich als Interessensverbände nur schwer organisieren lassen und am wenigsten vom Subventionskuchen abbekommen. Außerdem schwinden mit den niedrigeren Einnahmen aus der CO2-Bepreisung die Spielräume für einen sozialen Lastenausgleich. Ebenso schädlich wirken flächendeckende Differenzverträge bei der Umstellung auf fossilfreie Stromerzeugung.

Die ist jedoch zentral, denn eine klimaneutrale Wirtschaft wird über die direkte und indirekte Elektrifizierung erreicht. Hier geht die Begründung für Differenzverträge so: In einem weit- gehend durch Erneuerbare bestimmten Energiesystem würden die Investitionskosten nicht mehr hereingespielt, denn die Grenzkosten („Was kostet eine zusätzliche Stunde Energie etwa aus Sonne und Wind?“) seien ja naturgemäß nahe null und damit auch die Strompreise. Also müssten die Kapitalkosten über Differenzverträge finanziert werden, was in etwa einer Rückkehr zu den vom Marktgeschehen unabhängigen Einspeisevergütungen entspricht.

Die sozial-ökologische Marktwirtschaft stärken

Auch hier zeigt sich, dass die „neue Klimapolitik“ ökonomisch nicht durchdacht ist. Denn nach dem Atom- und Kohleausstieg braucht man durchaus Gaskraftwerke, die sich kurzfristig hochfahren lassen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. Sie müssen dann durch hohe Preise in diesen Stunden ihre Kosten einspielen. Das sorgt dafür, dass der Preis im Stromgroßhandel keineswegs immer null ist.

Er wird eben in einem Teil der Stunden durch den Gaspreis getrieben und durch die Kosten für die Emissionszertifikate, die bei der Nutzung von fossilem Gas anfallen. Darüber hinaus werden Knappheitspreise die Flexibilisierung von Lasten- und Speichertechnologien attraktiv machen. All das ermöglicht, dass auch die erneuerbaren Energien ihre Kapazitätskosten am Markt verdienen können. Gerade im Bereich der konventionellen Kraftwerke kommt dem Zusammenspiel von Emissionshandel und Stromhandel eine Schlüsselrolle zu.

Durch den Anstieg des CO2-Preises wird zunächst der Kohleausstieg um 2030 gelingen, ohne dass dies politisch hinausgezögert werden kann. Schrittweise angestoßen wird auch der treibhaus- gasneutrale Betrieb der Gaskraftwerke etwa durch grünes Methan. Die Koordinationsleistung einer konsequenten CO2-Bepreisung ist zentral für eine möglichst reibungslose Transformation und kann durch einzelne Maßnahmen nicht ersetzt werden. Die Politik sollte trotz steigender Energiepreise die sozial-ökologische Marktwirtschaft stärken und der Versuchung widerstehen, sich stattdessen in eine unproduktive Interventionsspirale hineintreiben zu lassen.

 

Zuerst erschienen am 8. Februar 2022 im „Handelsblatt“.

About the author(s)
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer is Director of the Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Director and Chief Economist of the Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK), and Professor of the Economics of Climate Change at the Technische Universität Berlin. He also served as Co-Chair of Working Group III of the IPCC’s Fifth Assessment Report.

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