Covid-19 stellt nicht nur eine gewaltige gesundheitspolitische Herausforderung dar, sondern wirft auch die Frage auf, wie Wege aus der Krise sozial gerecht gestaltet werden können. Dieser Beitrag zeigt mögliche Implikationen für wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Bewältigung der Krise.
Intergenerationelle, soziale und internationale Dimension der Covid-19-Krise
Die aktuelle Krise zeigt ein klares Gefälle zwischen den Generationen auf. Ältere Menschen haben durch eine Ansteckung mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit gravierende Auswirkungen, bis hin zum Tod, zu befürchten, während jüngere häufiger relativ glimpflich davonkommen – der Lockdown lässt sich also als eine Maßnahme betrachten, von der vorwiegend ältere Menschen profitieren. Gleichzeitig sind die damit verbundenen Belastungen für jüngere Menschen, z.B. Familien mit Kindern, besonders hoch. Maßnahmen wie Kurzarbeit und potentiell Arbeitslosigkeit treffen vor allem die arbeitende, tendenziell jüngere Bevölkerung. In der Rezession haben es zudem Berufseinsteiger besonders schwer, in den Arbeitsmarkt zu kommen.
Die Auswirkungen sowohl der Corona-Krise als auch die ihrer Bekämpfung sind zudem ungleich zwischen sozialen Schichten und Einkommensgruppen verteilt. Der größten Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren zunächst Menschen in sogenannten systemrelevanten Berufen, allen voran im Gesundheitsbereich, aber auch in der Logistik. Und auch der Lockdown hat Menschen auf sehr verschiedene Art und Weise getroffen: Während manche (vor allem gut ausgebildete und gutverdienende Akademiker) im Home Office vor dem Bildschirm ihren Beruf weiterhin relativ ungehindert ausüben konnten, stehen andere – wie z.B. Selbständige, Beschäftigte in kreativen Berufen oder Angestellte in der Gastronomie – weiterhin vor existentiellen ökonomischen Bedrohungen. In jenen sozialen Gruppen, die besonders anfällig für Ansteckung sind und stark von den Einschränkungen betroffen sind, finden sich besonders viele Geringverdiener. Somit werden diejenigen besonders stark belastet, die sich diese Belastung am wenigsten leisten können.
Wir müssen zudem davon ausgehen, dass auch Ungleichheiten in anderen Bereichen durch Corona verstärkt werden. So werden als Folge von Schulschließungen ungleiche Bildungschancen abhängig von Einkommen und Bildungsstand der Eltern weiter verstärkt. Kita- und Schulschließungen haben auf mittel- bis langfristige Sicht vor allem für bildungsferne oder migrantische Familien stark negative Auswirkungen. Auch gehen Einschränkungen in der Kinderbetreuung besonders zu Lasten von Frauen, womit bestehende Ungleichheiten in Berufsaussichten weiter verschärft werden.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Covid-19 wichtige Maßnahmen gegen den Klimawandel, der vor allem die jungen Generationen in der Zukunft treffen würde, verzögert oder gar ins Gegenteil umkehrt. Der Bau neuer Kohlekraftwerke, z.B. in China, sind unrühmliche Beispiele, wie eine Politik zur Bewältigen einer aktuellen Krise, also der Corona-Pandemie, eine zukünftige Krise, nämlich den Klimawandel, weiter befördern könnte.
Auch die internationale Dimension birgt aus einer Gerechtigkeitsperspektive Herausforderungen: Innerhalb der EU sind vor allem die ärmeren südeuropäischen Länder stark von der Epidemie getroffen. Es ist zu vermuten, dass auch ihre (bereits vor der Epidemie schwächeren) Volkswirtschaften stärker getroffen werden, als die der nordeuropäischen Staaten und Deutschlands. Das wird das Wohlstandsgefälle in der EU weiter wachsen lassen und birgt so die Gefahr, die existierenden Spannungen weiter zu vertiefen. Dies wird besondere Herausforderungen für den Zusammenhalt innerhalb der EU bedeuten.
Ohne koordinierte Gegenmaßnahmen, wie dem von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbauplan oder einem möglichen Merkel-Macron-Hilfsfonds von 500 Milliarden Euro, könnten einige Mitgliedstaaten aufgrund steigender Risikoprämien ihre steigenden Staatsschulden nur noch zum Preis schwerwiegender Ausgabenkürzungen bedienen. Die damit einhergehende wirtschaftliche Kontraktion hätte nicht nur gravierende soziale Auswirkungen, sondern würde sich durch die engen wirtschaftliche Verflechtung auch direkt auf die restlichen Mitgliedstaaten auswirken.
In den ärmeren Ländern des globalen Südens ist davon auszugehen, dass sie – trotz längerer Vorbereitungszeit und obwohl ihre Bevölkerungen deutlich jünger sind– stärker unter der Pandemie zu leiden haben. Ein Grund hierfür ist, dass viele Menschen aufgrund unzureichender sozialer Sicherungssysteme auf ein tägliches Einkommen angewiesen und gezwungen sind, zur Arbeit zu gehen, auch wenn dies eine hohe Gefahr einer Ansteckung mit sich bringt. Gleichzeitig sind die Gesundheitssysteme in diesen Ländern oft nicht in der Lage, einer großen Zahl von Infizierten die nötige Behandlung zukommen zu lassen. Ferner wird sich auch der Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen für ärmere Länder deutlich schwerer gestalten.
Lösungsvorschläge
Aus diesen Betrachtungen lassen sich einige Schlussfolgerungen für einen sozial gerechten Umgang Weg aus der Krise ableiten:
1. Den zukünftigen Generationen nicht mehr Belastungen zumuten
Wie Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft genau ausgestaltet werden, wird weitreichende Auswirkungen auf das künftige Wohlergehen der jungen Generation haben. Eine bestehende Krise (COVID-19) darf nicht dadurch angegangen werden, dass eine sich anbahnende Krise (Klimawandel) noch weiter verschärft wird. Konjunkturpakete müssen daher kritisch auf ihre langfristigen Implikationen in Bezug auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit untersucht werden. Dabei könnte die Krise auch Chancen bieten, das Umsteuern auf nachhaltige Wirtschaftsformen zu beschleunigen, z.B. durch einen zügigen Ausbau erneuerbarer Energien, des öffentlichen Nahverkehrs und alternativer Mobilitätskonzepte sowie Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Um sicherzustellen, dass öffentlich Gelder zielgerichtet eingesetzt werden sind Preissignale auf Märkte unerlässlich. Aus diesem Grund wäre es fatal, bestehende CO2-Preise zurückzunehmen oder deren geplante Einführung zu verzögern. Vielmehr sollte verhindert werden, dass durch den Preisverfall aufgrund sinkender Nachfrage für Zertifikate im Europäischen Emissionshandel Anreize für klimafreundliche Investitionen unterminiert werden. Die Einführung eines Mindestpreises würde langfristige Investitionssicherheit gewährleisten. Ein Fonds, welcher Kapital für klimafreundliche Investitionen zu günstigen Bedingungen bereitstellt – unter Umständen auch negativen Zinsen –, könnte Projekte insbesondere in jenen Ländern attraktiv gestalten, in denen es keine oder nur geringe CO2-Preise gibt.
2. Staatliche Maßnahmen sozialverträglich gestalten
Wie Maßnahmen zur Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen die Verteilung der Einkommen verändern, hängt von ihrer Ausgestaltung ab: Während beispielsweise eine Absenkung der Einkommensteuer oder die Abschaffung des Solidaritätszuschlags vor allem Besserverdiener unterstützen, profitieren von einer Erhöhung des Steuerfreibeitrags, einer Absenkung der Mehrwertsteuer oder einer Erhöhung von Sozialtransfers insbesondere die unteren Einkommensgruppen. Alle staatlichen Ausgaben zur Stimulierung wirtschaftlicher Aktivität sollten kritisch auf ihre Verteilungswirkung geprüft werden. Um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten, ist es geboten, solche Maßnahmen zu priorisieren, die insbesondere Geringverdienern zugutekommen.
Auch die Ausgestaltung staatlicher Hilfsprogramme ist entscheidend für die Verteilungsgerechtigkeit. Staatliche Hilfen sollten daher an klare Auflagen für die entsprechenden Unternehmen gekoppelt werden. Diese betreffen zum einen den Schutz der Umwelt. So könnten beispielsweise Fluggesellschaften und Automobilhersteller verpflichtet werden, stringent darzulegen, wie sie ihr zukünftiges Geschäftsmodell ausrichten wollen, damit es mit internationalen Klimazielen kompatibel ist. Zum anderen scheint es kaum vertretbar, dass Unternehmen Staatshilfe erhalten, aber weiterhin Dividenden an ihre Anteilseigner ausschütten. Eine Einstellung der Dividendenzahlungen sowie eine Begrenzung von Boni sollte eine Voraussetzung für staatliche Hilfen sein.
3. Die Krisenkosten progressiv verteilen
Eine gerechte Verteilung der Kosten der Krisenbewältigung beinhaltet, dass Vermögende einen größeren Teil der der Lasten tragen. Dies wäre mit zum Beispiel mit einer Vermögensteuer oder Sonderabgabe auf hohe Vermögen realisierbar. Ebenfalls denkbar wäre eine substantielle Erhöhung der Erbschaftsteuer, die mit vertretbarem administrativen Aufwand Mittel für die Staatskasse liefern könnte, ohne dabei übermäßig Anreize für Investitionen und Innovationen zu schmälern. Gleichzeitig könnte damit der Trend, dass bestehende Ungleichheiten immer stärker von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden, verlangsamt und möglicherweise sogar umgekehrt werden.
Die Ausgaben zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen wird zu langfristig höheren Staatsschulden führen. Diese werden auf die ein oder andere Weise zurückgezahlt werden müssen, was zusätzliche Steuern wahrscheinlich werden lässt. Dies bietet eine Möglichkeit, das Steuersystem insgesamt zu verbessern, z.B. durch die Einführung innovativer Modelle, wie die Bepreisung von Externalitäten und die Besteuerung von ökonomischen Renten. So können ökonomische Effizienz und soziale Gerechtigkeit vereint werden. Beispiele für ersteres sind eine stärkere Ausrichtung des Steuersystems darauf, z.B. Umweltverschmutzung, Lärm und Verkehrsstaus einen Preis zu geben. Ein gutes Beispiel für die Besteuerung von ökonomischen Renten wäre eine Grundsteuer, die sich am tatsächlichen Wert ausrichtet, oder eine konsequente Parkraumbewirtschaftung, in welcher die Nutzer von Parkplätzen deren tatsächliche soziale Kosten tragen.
4. Internationale Koordinierung ist im nationalen Interesse
Damit nationale Maßnahmen ihre volle Wirkung entfalten können, ist Kooperation über Staatsgrenzen hinaus notwendig. Dies zeigt sich bereits deutlich auf europäischer Ebene. Eine asymmetrische Antwort auf die wirtschaftlichen Folgen von Corona, bei der andere Länder deutlich weniger Spielraum als Deutschland haben, könnte eine große Belastung für den Zusammenhalt innerhalb der EU darstellen. Langfristig angelegte Strategien wie der European Green Deal wären unter solchen Vorzeichen wahrscheinlich nur schwerlich umzusetzen. Deshalb erscheinen Vorschläge zur gemeinschaftlichen Finanzierung wirtschaftlicher Stabilisierungsmaßnahmen als durchaus sinnvoll. Auch hier können die langfristigen Umweltauswirkungen Auswirkungen besonders berücksichtigt werden, etwa indem aus diesem Mitteln Kredite prioritär (und zu verringerten Zinssätzen) für klimafreundliche Projekte vergeben werden. Ein „Schatten-Preis“, der die sozialen Kosten zukünftiger CO2-Emissionen widerspiegelt, könnte eine wichtige Richtschnur für solche Investitionsentscheidungen sein.
Trotz ansteigender Budgetdefizite wird eine Aufstockung der Mittel für bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit unerlässlich sein, um die Pandemie global in den Griff zu bekommen. Dies ist insbesondere für Länder sinnvoll, in welchen sich zentrale Energie- und Verkehrsinfrastrukturen gerade erst im Aufbau befinden. Dort könnten durch entsprechende Investitionen nicht nur die kurz- und mittelfristigen Corona-Folgen abgemildert, sondern auch die Weichen für eine langfristige ökologisch nachhaltige Entwicklung gestellt werden.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass die Unterstützung armer Länder mit geringem Einkommen bei der Bewältigung von Corona nicht nur auf moralischer Verantwortung beruht, sondern auch im Eigeninteresse der Industriestaaten liegt: Sollte es nicht gelingen, COVID-19 weltweit in den Griff zu bekommen, wird es in einer globalisierten Welt nur sehr schwer möglich sein, sich gegen Neuinfektionen aus dem Ausland abzuschotten.
5. Protektionismus vermeiden
Auch die indirekten Nachwirkungen in anderen Ländern könnten drastische Folgen für Länder wie Deutschland haben. Eine Unterbrechung der Lieferketten und schrumpfende Exportmärkte würden einer stark in den Welthandel integrierte Volkswirtschaft empfindlichen Schaden zufügen. Auch die Aussicht auf politische Instabilität und Migrationsströme von Menschen, die sich zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sehen, beinhaltet gewaltige Herausforderungen für Europa und Deutschland.
Durch COVID-19 dürfte die Globalisierung einen weiteren Rückschlag erleiden. Es ist – wie häufig in Wirtschaftskrisen – nur eine Frage der Zeit, bis Forderungen nach einer Abschottung gegenüber dem internationalen Handel zum Schutz der heimischen Wirtschaft laut werden. Ein solcher Protektionismus wäre fatal. Er würde nicht nur die Preise für Konsumenten erhöhen und den Zugang zu Zwischenprodukten für die Industrie erschweren, sondern könnte schlimmstenfalls zu einem Handelskrieg führen.
Besonders bedenklich wäre ein Missbrauch von Handelspolitiken, die vorgeblich dem Umweltschutz dienen, in Wirklichkeit aber vielmehr das Ziel verfolgen, bestimmte, gut organisierte Interessensgruppen vor ausländischer Konkurrenz abzuschirmen. Ein solcher „Protektionismus im grünen Gewand“ könnte die Legitimität und Sinnhaftigkeit von Handelsbeschränkungen untergraben, die tatsächlich dem Schutz der Umwelt dienen könnten. Gezielte Handelsbeschränkungen sind nur wünschenswert, solange dabei der Umweltschutz tatsächlich an erster Stelle steht. Gleichzeitig könnten gezielt Handelsbarrieren für den Import „grüner“ Produkte abgebaut werden.
Fazit
Covid-19 hat beträchtliche Auswirkungen auf bestehende Ungleichheiten zwischen Generationen, sozialen Schichten und Weltregionen. Sozial gerechte Wege aus der augenblicklichen Krise können nur beschritten werden, wenn sichergestellt ist, dass diese Ungleichheiten nicht noch weiter verstärkt werden. Daher birgt diese Krise, bei all ihren tragischen Auswirkungen, auch die Möglichkeit, strukturelle Veränderungen anzustoßen, um den Übergang zu einer ökologisch und sozial nachhaltigen Wirtschaft zu beschleunigen.
Zuerst erschienen auf makronom.de