Mehr Tempo beim Kampf gegen die Erderhitzung!

Die Blicke gehen nach Glasgow: Logo der Weltklimakonferenz COP26. | Foto: ukcop26.org

Von Glasgow ist kein Durchbruch zu erwarten – aber vielleicht von einem „Klimaklub“, analysiert der MCC-Direktor zum Auftakt der Weltklimakonferenz in einem für das „Handelsblatt“ verfassten Artikel.

Die Erwartung an die Weltklimakonferenz ist gewaltig – sie soll eine Zäsur werden. Trotz aller Verhandlungen und Berichte des Weltklimarats sind die Treibhausgas-Emissionen in den beiden Jahrzehnten bis einschließlich 2019 stetig gestiegen. Sie müssen aber bis 2050, also in nur 29 Jahren, auf null gesenkt werden, will die Weltgemeinschaft die Ziele des Abkommens von Paris noch erreichen: Sechs Jahre nach dieser historischen Festlegung soll es nun zu der längst überfälligen Trendwende kommen. Doch die Vorzeichen, unter denen die Konferenz von Glasgow steht, sind nicht ermutigend.

Die Erholung der Weltwirtschaft nach der Corona-Delle 2020 hat die Emissionen auf einen neuen Höchststand getrieben. Die Preise für den etwas weniger klimaschädlichen fossilen Brennstoff Erdgas steigen schneller als die Kohlepreise, weil beim Gas die Nachfrage in Asien enorm gestiegen ist und Russland die zusätzliche Nachfrage derzeit nicht bedienen will. So werden Kohlekraftwerke wieder rentabler. Dazu muss man wissen: Wenn die weltweit im Betrieb und im Bau befindlichen Kohlekraftwerke so lange laufen wie von den Investoren geplant, verbrauchen sie das gesamte mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel verbleibende Kohlenstoffbudget der Menschheit.

Hinzu kommt, dass der unerwartete Energiepreis-Anstieg Klimaschutz politisch schwieriger macht. Er befeuert die Inflation und gefährdet das Vertrauen in die Wohlstandsentwicklung – kein Wunder, schließlich hat sich der Ölpreisschock von 1973 in das Gedächtnis der westlichen Welt als Beginn einer lang anhaltenden Stagnation eingebrannt.

Die Zusagen reichen nur für eine 2,7-Grad-Welt

Zwar könnten die aktuellen Engpässe in wenigen Monaten überwunden sein, aber schon werden sie als Argument verwendet, um die Umsetzung des European Green Deal der EU-Kommission zu verzögern. Dabei zeigt die Forschung: Ein glaubwürdig angekündigter Anstieg der Preise für CO2-Ausstoß und damit für die Nutzung fossiler Energien muss keineswegs Wirtschaftswachstum kosten. Verbraucher und Unternehmen reagieren bei solch erwartbaren Preissteigerungen nicht mit Investitionszurückhaltung, sondern investieren verstärkt in energie- und emissionssparende Techniken.  

Im Vorfeld der Glasgow-Konferenz haben Regierungen ihre Klimaschutz-Zusagen verstärkt. Die EU will mit ihrem Green Deal die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent unter den Stand von 1990 drücken, die USA wollen sie sogar gegenüber 2005 halbieren. Beide zusammen stehen für 23 Prozent aller Emissionen. Andere Großemittenten sind noch zurückhaltend. 

China macht Andeutungen, den Scheitelpunkt vor 2030 zu erreichen und bis 2060 die Treibhausgas-Emissionen zumindest bei CO2 auf null zu drücken. Addiert man die Absichtserklärungen aller Staaten der Welt, würde die globale Mitteltemperatur um 2,7 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau steigen. Das wäre weniger als vor den jüngsten Ankündigungen, die Emissionen würden sinken, aber noch zu langsam, um bis 2050 auf null zu kommen. Außerdem handelt es sich bislang um unverbindliche Absichtserklärungen, bisher steigen die Emissionen weiter.

Ein Erfolg dürfte in Glasgow bei der Klimafinanzierung erzielt werden: Die für die Zukunft gemachten Finanzierungszusagen der reicheren an die ärmeren Länder für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft werden mit 100 Milliarden Dollar pro Jahr auch eingehalten. Das stand lange in Zweifel. Ein anderes Thema aber ist geeignet, den Gipfel zu belasten: Die ärmeren Länder erwarten neben der Unterstützung für den Umbau auch Entschädigungszahlungen für Klimaschäden, da diese in der Vergangenheit ja vor allem von den reichen Ländern durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas verursacht worden seien.

Es ist Zeit für ein zusätzliches Verhandlungsformat

Um den globalen Klimaschutz kosteneffizient zu machen, sollte Glasgow das Thema „gemeinsame Kohlenstoffmärkte“ voranbringen: In diesen sollen sich Länder zusammenfinden können und dann gemeinsam die Emissionen in jenen Regionen und Sektoren vermindern, in denen es am kostengünstigsten ist. Ein Meilenstein nach zähem Ringen wäre bereits die Verabschiedung eines Regelwerks für solche Kohlenstoffmärkte, das Doppelzählungen von Emissionsminderungen vermeidet und Transparenz herstellt. 

Insgesamt kann die 26. Weltklimakonferenz bestenfalls diplomatische Erfolge erzielen – und keinen Durchbruch. Man sollte daher den 1992 mit der Klimarahmenkonvention geschaffenen Diplomatie-Prozess nicht länger mit Erwartungen überfrachten, die er nicht erfüllen kann. Ohne den Prozess abzuwürgen, sollte die internationale Klimapolitik jetzt ein weiteres Verhandlungsformat schaffen. Anders kann die Menschheit der Klimakrise nicht gerecht werden.

Nach den großen Ankündigungen der jüngsten Zeit könnten China, die USA und die EU trilateral über CO2-Mindestpreise verhandeln. Und darüber hinaus Ländern, die nach wie vor auf Kohle setzen, wie Vietnam, Indonesien oder Bangladesch, beim Aufbau eines fossilfreien Energiesystems helfen – durch zinsgünstige Kredite oder Zuschüsse aus einem Investitionsfonds, in den auch andere Länder einzahlen können. Die Empfängerländer würden sich im Gegenzug zu einem Kohleausstiegspfad und zur Einführung einer eigenen CO2-Bepreisung verpflichten.

Für Russland würde es sich langfristig lohnen, diesem Klub beizutreten. Das Land weiß, dass durch den European Green Deal die Gasnachfrage sinken wird. Wenn es selbst einen CO2-Mindestpreis für die eigene Wirtschaft erhebt und dadurch vermeiden kann, dass die EU russische Exporte mit einem CO2-Preis belastet, landet viel Geld in der Kasse des russischen Finanzministers statt bei den europäischen Finanzministern.

Deutschland braucht jetzt Klimaaußenpolitik

Auch für Japan könnte der Export von klimaneutralem Wasserstoff Anreize schaffen, einen Mindestpreis zu erheben. Die Verhandlungen mit Indien könnten hingegen schwierig werden –  dort ist die Energieerzeugung in staatlicher Hand, an der Kohle hängen Arbeitsplätze und politische Macht. Allerdings ist Indien auf Exporte angewiesen, die über einen Grenzausgleich teurer würden. Früher oder später dürfte der Subkontinent beim Thema CO2-Mindestpreis beweglicher werden.

Solche multilateralen Verhandlungen parallel zu den klassischen Weltklimagipfeln mögen noch wie Zukunftsmusik klingen. Doch der Schaden durch Klimawandel wird zunehmend spürbar – und damit internationale Kooperation dringlicher. Sie könnte einen signifikanten Beitrag beim Kampf gegen die Erderhitzung leisten. China, die USA, die EU, Russland, Japan und Indien sind für zwei Drittel der weltweiten Emissionen verantwortlich.

Die sich abzeichnende Ampel-Koalition in Berlin weiß ihren eigenen klimapolitischen Ehrgeiz richtig einzuordnen. Er wird nur dann fruchten, wenn der European Green Deal umgesetzt und global eine belastbare Vereinbarung zwischen den großen Emittenten erreicht wird. Nur dann sind Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft langfristig vermeidbar. Deutschland muss sein europa- und weltpolitisches Kapital in die Waagschale werfen, um einen Klimaclub zu bilden, der seine Wirkung in koordinierten Mindestpreisen zeigt.

Der nächste G7-Gipfel im Frühsommer 2022 im eigenen Land böte für eine solche deutsche Klima-Außenpolitik ein geeignetes Forum. Angesichts der globalen Klima- und Energiekrise wird es höchste Zeit, dieses dicke Brett zu bohren.

 

Zuerst erschienen am 1. November 2021 im „Handelsblatt“.

About the author(s)
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer is Director of the Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Director and Chief Economist of the Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK), and Professor of the Economics of Climate Change at the Technische Universität Berlin. He also served as Co-Chair of Working Group III of the IPCC’s Fifth Assessment Report.

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