Klimaschutz und Kohleausstieg sind keine Selbstläufer. Ein „weiter so“ darf es weder in Deutschland noch in der internationalen Klimapolitik geben.
2017 war kein gutes Jahr für den Klimaschutz – weder in Deutschland noch weltweit. Unter dem neuen Präsidenten Donald Trump haben die USA ihren Austritt aus dem Pariser Abkommen angekündigt. Das ist ein schwerer Rückschlag für die internationale Klima-Kooperation. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es auf G20-Ebene keine nennenswerten Klimaschutzabsprachen gab. In Deutschland wirkte die Klimapolitik angesichts der sich anbahnenden Verfehlung der eigenen Klimaschutzziele für das Jahr 2020 zunehmend paralysiert. Dabei waren die Hoffnungen angesichts des deutschen Vorsitzes beim G20-Gipel und der für die Fiji-Inseln organisierten UN-Klimakonferenz in Bonn zunächst groß. Doch der schlechten Nachrichten nicht genug: Das Global Carbon Project präsentierte seine neusten Emissionsschätzungen für das Jahr 2017. Nach Jahren der Stagnation des globalen Emissionsniveaus prognostizierten die Wissenschaftler ein kräftiges Wachstum der CO2-Emissionen von 2 Prozent.
Klimaschutz und Kohleausstieg sind keine Selbstläufer, sondern müssen politisch gestaltet werden
Es bleibt eine Mär, dass die rasante Entwicklung von Wind- und Solarenergie oder auch der Batterietechnik den fossilen Energiequellen im Alleingang den Gar ausmachen wird. Das gegenwärtige CO2-Wachstum ist ein klares Anzeichen für die ungebrochene Rolle der Kohle als zentraler Energieträger für die Stromerzeugung. Ohne entschiedenere Politikinterventionen werden viele weitere Kohlekraftwerke rund um den Globus ans Netz gehen – selbst wenn die Ausbaupläne für Kohlekraftwerke in einigen wichtigen Ländern wie Indien und China stark zusammengestrichen wurden. Derzeit befinden sich nach wie vor Kraftwerke mit einer Kapazität von zusammengenommen 270 Gigawatt (GW) im Bau sowie 570 GW in der Planung – das sind rund 40 Prozent der heutigen globalen Gesamtkapazität. Aber auch in einem Land wie Deutschland mit Führungsanspruch in der internationalen Klimapolitik wurde die Kohlekraft bisher nicht zurückgedrängt. Mit 40 Prozent ist der Anteil der Kohle am deutschen Energiemix seit einem Jahrzehnt unverändert hoch. Sie ist der wichtigste Grund dafür, dass die Emissionen in Deutschland seit Jahren nicht schneller zurückgehen. Der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien wird so – insbesondere vor dem Hintergrund des zeitgleichen Atomausstiegs – ein Stück weit um seine klimapolitischen Meriten gebracht.
Die Zeit drängt. Denn um die internationalen Klimaziele noch zu erreichen, muss die Welt bereits in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts CO2-neutral werden: Jede Tonne CO2, die dann aus Schornsteinen oder Auspuffen kommt, muss der Mensch der Atmosphäre durch sogenannte negative Emissionen direkt wieder entziehen. Um CO2-Neutralität zu erreichen, braucht es nicht weniger als eine historische Trendwende. Statt eines globalen Emissionswachstums von durchschnittlich 2 Prozent in den letzten vier Jahrzehnten, müssten die globalen Emissionen in den nächsten drei Dekaden jährlich um ungefähr 3 Prozent reduziert werden (siehe Abbildung 3). Um dies zu erreichen, muss Klimapolitik aktiv gestaltet und national wie international gut koordiniert werden.
„Weiter so“-Politik bedeutet den Verlust des Gestaltungsspielraums für internationale Klimapolitik
Ein „weiter so“ darf es weder in Deutschland noch in der internationalen Klimapolitik geben. Trotz aller Erfolge der Energiewende und des Pariser Abkommens ist die Trendwende noch lange nicht geschafft. Die im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen bisher vorgelegten Selbstverpflichtungen der Länder zur Reduktion von Treibhausgasen werden die globalen Emissionen weiter steigen lassen – nur eben ein wenig langsamer. Schaffen wir es nicht, in den kommenden Jahren die Bereitschaft zu Emissionsreduktionen deutlich zu erhöhen, so verlieren wir den Gestaltungsspielraum für die künftige Klimapolitik. Heute können wir noch relativ frei darüber entscheiden, welchen Technologiemix wir bevorzugen, um die globale Erwärmung auf 2°C zu begrenzen – im Jahre 2030 wäre das dann kaum noch möglich. Deutschland wäre gezwungen, stärker über unpopuläre Technologien wie etwa CO2-Abscheidung und -Speicherung nachzudenken. Auch die Rufe nach der Anwendung sogenannter „symptomatischer Technologien“ zur direkten Beeinflussung der Strahlungsbilanz der Erde (solar geoengineering) werden mit jedem weiteren Jahr des Emissionswachstums lauter werden. Die mit solchen Maßnahmen verbundenen Risiken sind jedoch bisher weitestgehend unbekannt. Nur durch beherzte Klimapolitik lässt sich ein solches Abgleiten in ein Klima-Notstandsregime noch verhindern. Wie wir dabei weltweit auf einen Nenner kommen, ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen unserer Zeit.
Klimaschutz braucht Vorreiter: Eine GroKo müsste sich klimapolitisch neu erfinden
Gerade nach einem schwierigen Jahr für den Klimaschutz wie 2017 braucht es Führungsländer wie Deutschland, die entschlossen voranschreiten. Gemeinsam mit Frankreich könnte Deutschland etwa eine Reform des Europäischen Emissionshandels vorantreiben. Die Einführung eines Mindestpreises müsste der zentrale Baustein einer solchen Reform sein, damit eine Lenkungswirkung entsteht und Unternehmen Investitionssicherheit haben. Ohne ein wirkungsvolles Preissignal auf europäischer Ebene werden effektiver Klimaschutz und Kohleausstieg langfristig schwierig und teuer. Deutschland sollte sich bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterhaken und die bei der UN-Klimaschutzkonferenz in Paris gegründete „Koalition der Ambitionierten“ in eine erfolgreiche Zukunft führen.
So manch einem erscheint eine Neuauflage der Großen Koalition in diesem Kontext fatal. In der Tat wurde jedwede ernsthafte Diskussion, wie die Lücke zur Erreichung des deutschen Klimaschutzziels für 2020 geschlossen werden kann, in den Sondierungsgesprächen vom Tisch gefegt. Wer nicht ernsthaft über kurzfristigen Klimaschutz diskutiert, schürt den Verdacht, dass die neue Fokussierung auf die 2030-Ziele vor allem von fehlendem Handlungswillen ablenken soll.
Auch wenn momentan zunehmend klimaskeptische Töne von den konservativen Rändern und rechtspopulistischen Parteien zu hören sind: Die Verhinderung des gefährlichen Klimawandels ist eine zentrale Zukunftsfrage, die von einem breiten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Anstatt den Status quo zu schützen, muss die Politik anfangen, den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfähig zu machen. Nicht der Klimaschutz ist die Gefahr für die deutsche Automobilindustrie, sondern das Verpassen eines beherzten Einstiegs in alternative, nachhaltige Antriebstechnologien. Die wirtschaftliche Zukunft der Lausitz wird nicht durch einen möglichst langen Erhalt der Arbeitsplätze im Braunkohletagebau gesichert, sondern durch die frühzeitige Einleitung eines regionalen Strukturwandels. Es ist ein Glück, dass der Klimaschutz in Deutschland mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Daran sollte sich auch eine mögliche Große Koalition orientieren – nur durch ein ernsthaftes Angehen wichtiger Zukunftsfragen wird man dem erstarkenden Populismus Einhalt gebieten können. Was sonst sollte die Rechtfertigung für eine erneute Große Koalition sein als die Inangriffnahme der großen Herausforderungen, von denen unsere Zukunft abhängt?
Dieser Beitrag erschien zuvor bei "LibMod".