Klimaprotest auf Abwegen

Straßenblockade: Protest von Extinction Rebellion in Berlin (Archivbild von 2020). | Foto: Shutterstock/Laterveer

„Extinction Rebellion“ und „Letzte Generation“ ignorieren mit ihren Aktionen Erkenntnisse aus der Transformationsforschung. Damit tun sie dem Kampf gegen die Erderhitzung nicht unbedingt einen Gefallen.

Weltklimakonferenzen wie kürzlich in Ägypten lösen bei einem Teil der Bevölkerung Frustration aus. Fortschritt bei der Vermeidung von Emissionen ist kaum zu erkennen, das Schneckentempo erscheint unerträglich angesichts der riesigen Herausforderung. Gruppierungen wie „Extinction Rebellion“ und „Letzte Generation“ nehmen das zum Anlass, für eine entschlossenere Klimapolitik zu kämpfen: Sie kleben sich auf Straßen fest, übergießen Kunstwerke mit Erbsensuppe, blockieren den Berliner Flughafen – und betonen, dass es beim Klimaschutz nicht darum gehe, einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen. Andere, wie der britische Ökonom und frühere Club-of-Rome-Generalsekretär Graeme Maxton, haben erklärtermaßen den Glauben aufgegeben, dass unsere Institutionen und die Demokratie generell das Problem noch lösen.

Als Klimaforschende mit einem sozialwissenschaftlichen Hintergrund halten wir diese Entwicklungen für bedenklich und teilweise kontraproduktiv. Die Klimabewegung hatte sich doch eigentlich hinter dem Slogan „Listen to science“ versammelt, wie ihn Greta Thunberg vor Jahren ausgerufen hat. Ja, das Kohlenstoffbudget ist nahezu aufgebraucht, die Auswirkungen der Erderhitzung werden mit alarmierender Geschwindigkeit sichtbar, und die politische Antwort auf das in seinen Grundzügen schon so lange verstandene Problem ist ja in der Tat quälend behäbig. Aber es war gerade der kreative Protest durch Fridays for Future, der in den letzten Jahren die Klimakrise auf der Agenda dorthin gehievt hat, wo sie hingehört: ganz nach oben.

Breite Akzeptanz ist nötig, um etwas zu bewegen

Dieser enorme Erfolg erklärt sich vor allem damit, dass die Klimabewegung rund um Fridays for Future kooperativ und strategisch agiert hat. Sie baute Koalitionen auf, die durch thematische Breite und Annäherung die Akzeptanz in der breiten Bevölkerung sicherstellte. Beispiele sind der Schulterschluss mit der Belegschaft des Bosch-Werks in Trudering bei München gegen die Werksschließung oder das Zusammengehen mit der antirassistischen Bewegung von „Black Lives Matter“ mit der Forderung nach Klimagerechtigkeit. Nachdem Corona die soziale Spaltung vielerorts noch sichtbarer machte, hat sich die Verzahnung von Klima- und Sozialprotestbewegung gefestigt, die Forderung nach Veränderung wurde komplexer und lauter. Letztendlich mündete das in einer breiten Akzeptanz. Diese ist für die Klimabewegung auch notwendig, damit sie realpolitisch etwas bewegen kann.

Seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Klimabewegung gesellschaftlich und in den Medien weniger Aufmerksamkeit erhalten. Eben deshalb versucht ein Teil von ihr nun, das Thema mit radikaleren Aktionen wieder ins Rampenlicht zu rücken. Das gelingt im Ansatz, geht aber einher mit sinkender Unterstützung. Eine aktuelle Civey-Umfrage besagt zum Beispiel, dass 78 Prozent der Bevölkerung Straßenblockaden als Art des Protests ablehnt – eine hohe Zahl, die der Klimabewegung zu denken geben muss.

Denn damit gerät möglicherweise ein großer Teil ihres Erfolgs der letzten Jahre in Gefahr. Durch die aktuelle Entwicklung droht die Bewegung insgesamt einen großen Teil ihrer demokratischen Legitimation und damit den politischen Hebel zu verlieren. Dass man sich bei den Blockade- und Vandalismus-Aktionen auf das große Ziel des Klimaschutzes beruft, hilft nicht, es wird im Gegenteil als Ausdruck eines problematischen, elitären Denkens ausgelegt: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass sich vor allem die Arbeiterklasse sowie ethnische Minderheiten von dieser Gruppe entfremdet fühlen. Aktivistinnen und Aktivisten müssen sich fragen lassen: Welche Art von Klimagerechtigkeit wird hier gefordert, wenn sich doch ärmere soziale Schichten gar nicht repräsentiert fühlen?

Dabei gibt es eine große Mehrheit für mehr Klimaschutz. Und immerhin sind in den letzten Jahren wichtige Weichen gestellt worden, vom besiegelten Kohleausstieg in Deutschland über das Verbrennerverbot in der EU bis zur zunehmenden CO₂-Bepreisung. Keine Frage: Es ist noch zu wenig und geht zu langsam. Aber wer sich für schnellere Transformation einsetzt, sollte sich fragen, ob Formen des Klima-Protests, die eine Mehrheit abschrecken, wirklich beschleunigend wirken.

Kluge Proteste, bessere Argumente und Geduld haben geholfen, die Klimadebatte auf ein ganz neues Niveau zu heben

Aus der sozialwissenschaftlichen Transformationsforschung ist bekannt: Für den Erfolg großer Umstellungen kommt es auch darauf an, wie die Gesellschaft mit jenen umgeht, die dabei potentiell verlieren. Und kurzfristige Aspekte, wie ökonomische Sicherheit und Arbeitsplätze, werden in der Regel höher gewichtet als langfristige, wie Klimastabilität. Nationalistische und rechtsextreme Parteien in ganz Europa versuchen bereits, mit anti-ökologischen Standpunkte zu punkten und diese salonfähig zu machen. Sie stellen in ihrem populistischen Narrativ Klimafragen als Anliegen der Eliten dar: Deren grüne Politik gehe auf Kosten der kleinen Leute.

Die Forschung zeigt, dass sich die Leidtragenden von Globalisierung, Automatisierung und Stellenabbau stärker mit rechten Parteien identifizieren. In der Folge wird die Klimawende womöglich entpriorisiert und zugleich polarisiert. Es ist nicht überraschend, wenn radikaler Klimaprotest bei passender Gelegenheit von manchen publizistisch skandalisiert wird. Erschreckend schnell wurden in den letzten Wochen die Worte „Extremismus“ und „Terrorismus“ verwendet und mit Blick auf Protestierende die Auflösung rechtsstaatlicher Prinzipien diskutiert. Das ist bedenklich und nicht deren Verantwortung. Aber es zeigt, wie schnell diese Art des Protests ausgenutzt wird und dazu beiträgt, die gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen.

Die Menschen abzuholen und für die gute Sache zu gewinnen, wird voraussichtlich auch nicht gelingen mit pauschaler Kapitalismuskritik, wie sie in der Klimabewegung häufig zu hören ist. Aus Sicht der Betroffenen spielt sich das Problem auf einer anderen Ebene ab: etwa welche Angebote im Zuge der Transformation gemacht werden, in Form von Umschulungen und gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten.

Wer für sich in Anspruch nehmen will, der Wissenschaft zuzuhören, ist gut beraten, das gesamte Spektrum anzuschauen, also auch die sozialwissenschaftliche Seite. Transformations- und Akzeptanzforschung gibt Antworten darauf, wie politische und gesellschaftliche Entscheidungsbildung funktionieren. Ohne breite Akzeptanz ist keine Veränderung der Realpolitik zu erwarten. In den letzten Jahren hat Protest der überwiegend jungen Menschen politische Handlungsfelder aufgeschlossen und die Klimadebatte auf ein komplett neues Niveau gehoben: mit klugen Protesten, strategischen Partnerschaften, mit Geduld und mit den offensichtlich besseren Argumenten.

Ein Gefühl des Aufgebens und Zu-Spät-Kommens zu vermitteln, ist hingegen kein guter psychologischer Katalysator zum Handeln. Und wer weiß: Die Klimabewegung kann darauf bauen, dass es genauso wie im Erdsystem auch bei Innovationen und sozioökonomischen Entwicklungen Kipppunkte gibt, und zwar zum Guten.

Zuerst erschienen am 7. Dezember 2022 in der „Süddeutschen Zeitung“.

 

Weitere Informationen:
Twitter-Thread von Jan Steckel zur wissenschaftlichen Fundierung dieses Beitrags
https://twitter.com/jan_c_steckel/status/1601048858129477632

About the author(s)
Prof. Dr. Jan Steckel

Prof. Dr. Jan Steckel heads the working group “Climate and Development” at MCC. He is also a professor of climate and development economics at BTU Cottbus. His research focuses on climate mitigation in the Global South. He contributed to IPCC reports, and led a chapter on coal for the UNEP emissions gap report 2017.

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Charlotte Bez

Charlotte Bez is a postdoctoral researcher at the Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK). Here, she joined the FutureLab CERES as a postdoctoral fellow in Political Economy for Inclusive Wealth Governance in October 2022. Within the FutureLab, her work focuses on the political economy realities and barriers to transformation in selected industrialising countries.

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