Klimapolitik in der Heißzeit

Klimaschäden lassen sich in Euro und Cent beziffern: Waldbrand im Juni 2022 bei Marbella in Spanien. | Photo: Shutterstock/OConnor

Das Extremwetter wütet, und zugleich stört die geopolitische Krise den Kampf gegen die Erderhitzung. Wo die Welt steht, zeigt eine ökonomische Kennzahl: die „Social Cost of Carbon“.

Europa ist wieder einmal im Griff einer Hitzewelle: In Spanien und Portugal, aber auch in Dresden und Cottbus waren in jüngster Zeit Rekordwerte zu verzeichnen. Künftig könnte Europa ein Hotspot von Hitzewellen werden. Der Hintergrund: Ausgerechnet in der fern scheinenden Arktis steigt die Temperatur mit der globalen Erwärmung am stärksten. Durch die Verminderung der Temperaturunterschiede zum Äquator verändern sich Wettermuster. Der Jetstream – ein von Ost nach West ziehendes gigantisches Windband über der Nordhalbkugel – wird dadurch verlangsamt, mäandert und sorgt dafür, dass die Wetterlagen länger über Europa verharren.

Ist der Klimawandel wirklich so schlimm, dass wir die Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf null absenken müssen? Fragen wie diese werden immer dann gestellt, wenn man sich des Themas in den Staatskanzleien, Parlamenten, Unternehmen oder an den Stammtischen mit möglichst einfachen Antworten entledigen will: Ist nicht die Armutsbekämpfung wichtiger als die Bekämpfung des Klimawandels? Lässt sich das nicht auch mit weniger Geld und weniger Mühe regeln, indem wir uns klug anpassen?

Wer auf diese Fragen antworten will, der muss Unvergleichbares vergleichbar machen, also die Schäden des Klimawandels aggregieren und in einer Metrik ausdrücken. Wer aggregiert, zählt nicht nur, sondern vergleicht, gewichtet und wertet. In der Politik geht es immer auch um Güterabwägung – und die kann „irgendwie“ erfolgen, oder strukturiert, transparent und rational.

Was eine Tonne zusätzliche CO2 kostet

Die Wirtschaftswissenschaft hat hierfür ein Maß entwickelt – die „Social Cost of Carbon“, die sozialen Kosten des Klimawandels. Mit diesem Maß lassen sich Schäden beziffern, die eine zusätzlich emittierte Tonne CO2 verursacht. Dabei ist wichtig: Es ist ein globales Maß. Die Emissionen eines Landes können zu Schäden in vielen Regionen der Welt führen. Und diese Schäden wiederum  verursachen steigende soziale Kosten nicht nur vor Ort, sondern auch für den Rest einer globalisierten Welt. Die gesamte Weltgemeinschaft muss diese Schäden in Rechnung stellen, denn nur sie kann auch die Schäden begrenzen. Wichtig ist auch: Es ist ein konservatives Maß. Die in den sozialen Kosten zum Ausdruck gebrachten Schäden des Klimawandels markieren die untere Grenze der Spanne, denn viele relevante Aspekte können mangels Daten oder grundsätzlicher Messprobleme noch gar nicht in die Bewertung eingehen: etwa zerstörte Heimat, Verlust der Biodiversität, Artensterben, ethnische Konflikte oder die Schönheit einer Landschaft.

Aber immerhin lässt sich so ein Eindruck gewinnen, was eine Heißzeit ökonomisch anrichtet: Ernteausfälle, Schäden an Gebäuden, Verlust von fruchtbarem Land lassen sich relativ leicht in Euros und Dollars messen, liefern jedoch nicht annähernd das ganze Bild. Wenn es zu heiß wird, sind zum Beispiel Menschen in Fabriken und Büros weniger produktiv, ebenso, wenn es zu kalt ist. Auch die Bauindustrie wird bei extremer Hitze und Kälte Wachstumseinbußen hinnehmen. Die Schäden können mehr oder weniger lange nachwirken, mitunter müssen noch kommende Generationen an den Kosten tragen.Wenn etwa auf den Philippinen nach einem Unwetter die Familien ihre Hütten wieder aufbauen und die Kinder nicht in die Schule gehen, weil sie als Arbeitskräfte gebraucht werden, dann werden sie vermutlich ein Leben lang ein sehr viel geringeres Einkommen erzielen als Gleichaltrige, die in die Schulen gehen konnten.

Noch schwieriger und auch problematischer ist die Bewertung von Todes- und Krankheitsfällen. Die Schäden des Klimawandels hängen aber nicht nur von der steigenden Temperatur ab, sondern auch von Faktoren wie der Häufigkeit oder Heftigkeit des Niederschlags: Nicht nur ein zu trockener Monat, sondern auch zu häufiger oder zu heftiger Regen innerhalb eines bestimmten Zeitraums kann große  Schäden anrichten – die Verteilung des Regens über das Jahr ist entscheidend. Mit dem Klimawandel nehmen aber die Extreme fast überall auf der Welt zu.

Die Klimaschäden steigen rasant

Sichtet man diese Untersuchungen, so zeigt sich deutlich: Die sozialen Kosten des Klimawandels sind bereits dramatisch gestiegen und werden auch in Zukunft weiter steigen. So zeigt eine Schätzung von Forscherinnen und Forschern am MCC und PIK, dass wir bereits heute über hundert Euro pro emittierter Tonne CO2 für die Schäden des Klimawandels veranschlagen müssen, in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts bewegen wir uns bereits auf das Zehnfache zu, auf 800 Euro pro Tonne CO2.

Soll man soziale Kosten des Klimawandels in der politischen Diskussion verwenden – trotz ihrer begrenzten Aussagefähigkeit? Vor allem zwei Gründe sprechen dafür:

Erstens erlauben die sozialen Kosten des Klimawandels eine transparente Güterabwägung, weil sie die Kosten des Klimaschutzes mit den Schäden des Klimawandels vergleichbar machen. Dieser Vergleich zeigt deutlich, dass es billiger ist, die Klimaziele des Paris-Abkommens einzuhalten, als ungebremsten Klimawandel in Kauf zu nehmen.  Je nach Gewicht, das man künftigen Generationen und den Armen der heutigen Generation zumisst, fällt die Rechnung ein wenig anders aus. Da diese Berechnungen aber die Untergrenze der Klimaschäden darstellen und die Klimaschäden in der Heißzeit zunehmen, sind die Ziele des Abkommens von Paris als Referenzpunkt unumstritten.

Zweitens halten die sozialen Kosten des Klimawandels den Regierungen einen Spiegel vor. Liegen nämlich die CO2-Preise für Emissionen unter den sozialen Kosten des Klimawandels, legt das offen, dass die betriebene Klimapolitik zu lax ist. Diese Metrik erlaubt es nämlich nicht nur, die Ziele der Klimapolitik zu bewerten, sondern auch die politischen Instrumente.

Jo Biden lässt die Kennzahl gerade neu rechnen

Der amerikanische Präsident Joe Biden lässt die sozialen Kosten des Klimawandels derzeit neu berechnen – und schon jetzt ist klar: Die US-Regierung müsste ehrgeizigere Instrumente einführen, vor allem einen angemessen hohen CO2 Preis. Selbst im europäischen Emissionshandel liegen die CO2-Preise unter 100 Euro, weltweit sind die Preise sehr viel niedriger. Lediglich 23 Prozent der weltweiten Emissionen unterliegen überhaupt einem Preis. Und stellt man die weltweiten Subventionen in die Rechnung ein, dann zeigt sich: Wir subventionieren jede Tonne CO2 mit mehr als hundert Euro.

Die Verwendung der sozialen Kosten des Klimawandels als Metrik zeigt also zweierlei: Zum einen ist es ökonomisch sinnvoll, die Ziele das Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Zum anderen haben aber die Regierungen entgegen aller Ankündigungen bislang keine Politikinstrumente eingeführt, die uns überhaupt in die Nähe der politischen Ziele bringen.

In den letzten beiden Dekaden sind die Emissionen kontinuierlich gestiegen, und noch immer greifen wir zu mehr als 80 Prozent auf Kohle, Öl und Gas zurück, um unseren Strom zu erzeugen, unsere Wohnungen zu heizen, um unsere Industrie am Laufen zu halten. Die großen Erfolge der internationalen Klimapolitik sind bislang ausgeblieben, und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg nicht gerade erhöht.

Welchen Stellenwert hat Klima-Anpassung?

Angesichts dieser Sachlage werden Zweifel laut, ob sich die Klimapolitik weiterhin hauptsächlich auf die Verminderung von Emissionen konzentrieren oder lieber verstärkt in die Anpassung an den Klimawandel investieren sollte. Anpassung, so das Argument, erfordere keine ausgeklügelte Kooperation zwischen Europa, USA, China, Indien, Russland und Japan, die für zwei Drittel der weltweiten Emissionen verantwortlich sind.

Anpassung kann lokales Wissen aktivieren, bedarf scheinbar weniger staatlichen Handels und kann sich – so die Vermutung – auf leistungsfähige Märkte verlassen. Das ist ein ernst zu nehmendes Argument, dessen Tragfähigkeit einer Prüfung unterzogen werden muss. Doch auch Anpassungsmaßnahmen verursachen hohe Kosten und erfordern sowohl ein hohes Maß internationaler Kooperation als auch vermehrte staatliche Handlungskapazität in Schwellen- und Entwicklungsländern.

Migration ist vielleicht die wichtigste Anpassungsmaßnahme: Wer nicht mehr auf unproduktiven Äckern sein Einkommen erwirtschaften muss, wer Wassermangel ausweichen kann oder bessere Erwerbsmöglichkeiten findet, passt sich an den unvermeidbaren Klimawandel an. Das setzt aber voraus, dass Menschen, die wandern müssen und wollen, auch die Mittel dafür aufbringen können. So zeigt eine neue Studie, dass gerade der Klimawandel die Einkommen der ärmeren Haushalte so beeinträchtigt, dass sie in Gegenden verharren müssen, in denen sie von der Wucht des Klimawandels wirtschaftlich erdrückt werden – sie müssen in der Armutsfalle verharren, was die sozialen Kosten des Klimawandels steigen lässt. Hinzu kommen die zwischenstaatlichen Beschränkungen der Migration, aber auch die innerstaatlichen Hürden.

Der internationale Handel mit Agrargütern ist ebenfalls ein wichtiger Hebel für die Anpassung. Der lokale Einbruch von Ernten muss nicht zu einer Explosion der Nahrungsmittelpreise führen, wenn er durch Importe ausgeglichen werden kann. Ein funktionierender Agrarhandel ist jedoch ein öffentliches Gut, das internationale Kooperation erfordert. Und dieses öffentliche Gut zerstört Putin, weil er den Handel mit Getreide als Waffe einsetzt, um Afrika zu destabilisieren und Menschen in die Flucht zu treiben. Die Nahrungsmittelkrise von 2008 bis 2010 hat gezeigt, welche politische Wucht der schockartige Anstieg von Preisen etwa im Nahen Osten entfalten kann.

Die Ärmsten der Welt sind besonders betroffen

In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern schädigen Dürren und Überflutungen schon heute die armen Haushalte überproportional. Werden sie nicht entschädigt, steigt die Ungleichheit und auch die sozialen Kosten des Klimawandels nehmen zu. Viele Staaten verfügen über kein Steuersystem, das die notwendigen Entschädigungszahlungen ermöglicht. Versicherungslösungen können Bauern helfen, bieten aber nur eine begrenzte Absicherung gegen die häufigeren und heftigeren Wetterextreme. Die internationale Staatengemeinschaft will hier einen Rettungsschirm spannen. Eine wichtige Initiative, die jedoch ebenfalls internationale Kooperation voraussetzt.

Die Anpassung an den unvermeidbaren Klimawandel kann nur in einer einigermaßen geordneten Welt des Multilateralismus funktionieren, ebenso wie die Vermeidung von Emissionen. Aber wir leben nicht in der Welt des geordneten Multilateralismus, sondern in einer politischen Heißzeit. Es ist daher wenig sinnvoll die Anpassungsmöglichkeiten in einer geordneten Welt mit den Grenzen der Klimapolitik in einer politischen Heißzeit zu vergleichen.

Der galoppierende Klimawandel fegt über eine Welt, in der die Möglichkeiten der Anpassung und Vermeidung wegschmelzen. Wenn wir den Klimawandel in Schach und Proportion halten wollen, müssen wir uns an die nicht mehr vermeidbaren Klimafolgen anpassen, und gleichzeitig müssen wir den Klimawandel begrenzen, indem wir die Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf null herunterdrücken.

Ist der Klimawandel wirklich so schlimm, und lohnt sich eine ambitionierte Klimapolitik? Die einfache Antwort lautet: Ja. Haben wir die politischen Voraussetzungen, um mit einer politischen und physikalischen Heißzeit fertigzuwerden? Die optimistische Antwort: Noch nicht!

About the author(s)
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer is Director of the Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Director and Chief Economist of the Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK), and Professor of the Economics of Climate Change at the Technische Universität Berlin. He also served as Co-Chair of Working Group III of the IPCC’s Fifth Assessment Report.

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