Die planetarische Müllabfuhr

Luftfilter: Pilotanlage für CO2-Entnahme mit der neuartigen Methode „Direct Air Capture“ in Island. | Photo: Climeworks

Um die Klimaziele zu erreichen, muss die Menschheit Kohlendioxid aus der Luft entnehmen und zum Beispiel unter der Erde speichern. Doch dafür braucht es Regeln, erklären Ottmar Edenhofer, Max Franks, Friedemann Gruner, Kai Lessmann und Matthias Kalkuhl.

In sechs Jahren ist es so weit: Die Menschheit wird rechnerisch so viel Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen haben, dass die 1,5-Grad-Marke überschritten wird. Es ist das ehrgeizige Ziel des Abkommens von Paris, die Erderhitzung möglichst auf diesen Wert zu begrenzen. Das ist inzwischen nur noch machbar, wenn wir ein vorübergehendes Überschreiten in Kauf nehmen. Das heißt nicht, dass wir bei der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft nachlassen dürfen. Aber neben der beschleunigten Ausstoßminderung in Richtung null brauchen wir eine zweite Säule der Klimapolitik: die Entnahme und Speicherung des Klimagases aus der Atmosphäre.

Dies ist einerseits notwendig, um nicht vermeidbare Rest-Emissionen aus Indus­trie und Landwirtschaft zu kompensieren. Nur dann wird das viel beschworene Ziel der Treibhausgasneutralität überhaupt realistisch. Zum anderen müssen wir zusätzlich der Atmosphäre in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts CO2 entziehen, damit die globale Mitteltemperatur nach einem zeitweisen Überschießen wieder in Richtung der 1,5-Grad-Marke zurückgeht. Dieses Überschießen ist keinesfalls unproblematisch: Viele Korallenriffe werden verschwinden, und beim Grönland-Eisschild steigt das Risiko eines Kollapses. Aber es ist besser als ein dauerhaftes Überschreiten von 1,5 Grad: Dann, und nicht erst bei 2 Grad, der zweiten im Paris-Abkommen genannten Marke, drohen die Klimaschäden aus dem Ruder zu laufen. CO2-Entnahmen sind insofern also eine Art planetarische Müllabfuhr, die wegen der Zaghaftigkeit der bisherigen Klimapolitik notwendig wird.

Die notwendigen Technologien

Aber stehen dafür auch rechtzeitig die nötigen Technologien parat? Traditionelle Verfahren werden ja schon heute eingesetzt, sie reichen von Anreicherung des Bodenkohlenstoffs in der Landwirtschaft bis zu Aufforstung. Aber ihr Potential ist begrenzt. Zwar ergibt sich bei Aufforstung sogar ein zusätzlicher CO2-Einspareffekt, wenn man das Holz anstelle des sehr CO2-intensiven Zements für den Bau von Gebäuden verwendet. Doch damit nicht später beim Abriss das Klimagas wieder entweicht, muss es wiederverwendet oder zum Verrotten im geologischen Untergrund deponiert werden. Und überdies: Dauerhafte Entnahme via Aufforstung geht auf Kosten der knappen Ressource Land.

Deshalb werden inzwischen neuartige technische Verfahren in Pilotanlagen erprobt: etwa die Entnahme durch große chemische Luftfilteranlagen. Wird das aus der Luft gefilterte CO2 im geologischen Untergrund verpresst, ist es langfristig der Atmosphäre entzogen. Zu den weiteren neuen Verfahren gehört auch, auf Klimaplantagen schnell wachsende Biomasse anzubauen, durch deren Verbrennen Wärme oder Strom zu erzeugen, dabei das CO2 einzufangen und es einzulagern.

Der große Vorteil dieser technischen Verfahren liegt in der langen Speicherdauer. Nach Schätzungen des Weltklimarats IPCC bieten leer gepumpte Öl- und Gasfelder und andere geologische Formationen genug Platz für das gesamte in diesem und im nächsten Jahrhundert zu entnehmende CO2. Selbst bei einer unvorhergesehenen geologischen oder technischen Unzulänglichkeit der Speicherstätten würde ein Austritt nur langsam und allmählich passieren, sodass keine unmittelbaren Gesundheits- und Umweltschäden entstünden. Das CO2 müsste dann erneut aus der Atmosphäre entzogen und andernorts gespeichert werden. Die neuartigen Technologien benötigen jetzt nicht nur dringend mehr und größere Pilotanlagen, sondern auch eine neue Infrastruktur für den Transport des Klimagases hin zu den geologischen Lagerstätten, zum Beispiel in Norwegen oder unter der Nordsee.

Nach Modellrechnungen könnten weltweit ab 2050 etwa 10 Gigatonnen CO2 der Atmosphäre entzogen werden. Das entspricht etwa einem Fünftel der derzeitigen Emissionen. Bei geschätzten Kosten zwischen 100 und 300 Euro pro entnommener Tonne müssten dann etwa 0,5 bis 1,5 Prozent des weltweiten Sozialproduktes in die Entnahmewirtschaft investiert werden. Für Deutschland gehen Modellrechnungen allein für die Kompensierung der Rest-Emissionen von einem Entnahmebedarf von bis zu 130 Megatonnen CO2 im Jahr 2045 aus, also etwa einem Fünftel der derzeitigen Treibhausgasemissionen. Kosten: bis zu 40 Milliarden Euro im Jahr. Und damit stellt sich die Frage: Wer soll diese planetarische Müllabfuhr finanzieren?

Eine Antwort lautet: Wenn in zwei, drei Jahrzehnten die Klimawende weitgehend geschafft ist und die Entnahmewirtschaft hochskaliert wird, könnte diese zumindest teilweise von den verbliebenen Emittenten finanziert werden. So könnte für jede entnommene und dauerhaft gespeicherte Tonne CO2 ein Zertifikat generiert und in den Emissionshandel eingebracht werden. Dies würde im Prinzip zu einer kosteneffizienten Arbeitsteilung zwischen CO2-Vermeidung und CO2-Entnahme führen.

Um den Aufbau der Entnahmewirtschaft zu stabilisieren, könnte die Politik allerdings anfänglich ein separates Entnahmeziel formulieren, zusätzlich zu den Vermeidungszielen. Damit könnte sie der Befürchtung entgegentreten, die CO2-Entnahme unterminierte die Ausstoßminderung. Erreichen lässt sich ein solches separates Entnahmeziel in der Aufbauphase entweder über aus öffentlichen Mitteln finanzierte Auktionen für große Entnahmemengen. Oder es werden zum Beispiel für die Öl- und Gasanbieter oder die energieintensive Industrie Entnahmequoten festgesetzt, die diese Unternehmen dann wie Schuldscheine handeln können, sodass sie automatisch mit der Entnahmewirtschaft ins Geschäft kommen. Dadurch wird das Kostensenkungspotential in dieser Zukunftsbranche erschlossen.

Zusätzliche Anreize für negative Emissionen

Wenn dann nach dieser Aufbauphase die CO2-Entnahme in den Emissionshandel integriert wird, stellt sich eine neue Herausforderung. Der übergreifende Handel sorgt zwar dafür, dass sich die günstigsten Vermeidungs- und Entnahmetechniken durchsetzen – doch die Entnahme kompensiert dann eben nur genau die verbleibenden Rest-Emissionen. Für das Erreichen von netto-negativen Emissionen bedarf es zusätzlicher Anreize: durch geschicktes Ausgestalten des Emissionshandels oder durch direkte Entgelte an die Anbieter von Kohlenstoffsenken.

Gerecht werden muss man zudem jenen Entnahmeoptionen, die CO2 nicht permanent speichern. Ist die Speicherung zeitlich begrenzt – wie etwa in Holzprodukten, die nach ihrer Nutzung in Müllverbrennungsanlagen enden –, muss entweder beim Entweichen erneut ein CO2-Preis erhoben werden. Oder aber der Zertifikatepreis wird differenziert: Für nicht permanente Entnahmen gibt es weniger als für permanente, und die Differenz ist dann eine Rücklage für spätere erneute Entnahmen. So ließe sich durch das Aneinanderreihen von nicht permanenten CO2-Entnahmen – der Arbeit der griechischen Sagengestalt Sisyphus vergleichbar – ein dauerhafter Klimaeffekt erzielen.

Auch die nicht permanenten Verfahren sind aber wichtig für einen kostengünstigen Übergang zu einer treibhausgasneu­tralen Wirtschaft. Mit ihnen kann CO2 unter Umständen, abhängig von lokalen Gegebenheiten, deutlich billiger gebunden werden als mit den neuartigen technischen Verfahren. Aufforstung und die Erhöhung des Bodenkohlenstoffs stiften zudem oft einen Zusatznutzen für Biodiversität, Bodenschutz und Wasserhaushalt. Eine korrekte Bepreisung der Emissionsentnahmen ist daher essenziell, um bei der Vielfalt der Optionen jene Verfahren zu nutzen, die für den jeweiligen Standort die geringsten gesellschaftlichen Kosten haben.

Unerwünschte Effekte in Drittstaaten

Für die Entnahmen über Biomasse mit CO2-Abscheidung und -Speicherung sollte die Politik jedoch zusätzlich eine Mengenbegrenzung einführen, um eine übermäßige Ausweitung von Ackerflächen mit nachteiligen Folgen für die Biodiversität zu vermeiden. Diese Begrenzung könnte zunächst in Höhe der bisherigen Flächen für die zur energetischen Verwendung bestimmte Anbaubiomasse liegen: Dies sind momentan rund 20 Prozent der Ackerfläche in Deutschland, zum Großteil Mais für die Erzeugung von Biogas. Die Kombination aus Klimaplantagen mit Verfeuern, Abscheiden von CO2 und geologischer Speicherung könnte ohne Flächenausweitung 23 Megatonnen CO2 pro Jahr der Atmosphäre entziehen. Dies ist die Hälfte der Emissionen aus der Landwirtschaft.

Sowohl beim Biomasseanbau als auch bei den traditionellen Verfahren wie der Aufforstung kann es zu unerwünschten Effekten in Drittstaaten kommen. Werden etwa aufgrund des hohen Flächenbedarfs der CO2-Entnahme vermehrt Nahrungs- und Futtermittel importiert, so könnte dies in den Lieferantenländern zur Abholzung tropischer Regenwälder führen, um die erhöhte Nachfrage nach Agrarprodukten zu bedienen. Die Politik muss den Handel mit Entnahmemengen notfalls mit Grenzausgleichsabgaben steuern. Die langfristige Lösung ist eine umfassende CO2-Bepreisung auch im Landsektor.

Eine Kohlenstoffzentralbank

Die regulatorischen Herausforderungen der CO2-Entnahme sind also gewaltig. Derzeit arbeiten sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung an einer „Carbon-Management-Strategie“. Die Zeit drängt. Im Jahr 2039 wird im EU-Emissionshandel für den Industrie- und Stromsektor vermutlich das letzte Zertifikat versteigert, denn 2040 will die EU dort die Netto-Null erreichen und 2050 in der gesamten Volkswirtschaft. Es wird aber noch Rest-Emissionen geben, die sich nur zu prohibitiv hohen Kosten vermeiden lassen. Bleiben die Investoren über die mögliche Kompensation mittels CO2-Entnahme im Ungewissen, werden sie im Vorfeld vermehrt Emissionszertifikate horten. Das könnte in den 2030er-Jahren zu Preissprüngen führen, die sich politisch kaum durchhalten lassen. Soll der Emissionshandel auch in dieser Zeit noch funktionsfähig bleiben, so muss die EU unbedingt schon zeitnah klären, welche Entnahmemöglichkeiten zugelassen werden sollen und wie sie schrittweise in den Emissionshandel integriert werden können.

Der regulatorische Rahmen für CO2-Entnahmen, den die europäischen Institutionen jetzt schaffen müssen, muss Großes leisten: Er muss ein allzu exzessives Überschießen über das 1,5-Grad-Ziel vermeiden, ein sicheres Zertifizierungsverfahren für die Entnahmemengen etablieren und ein adäquates Risikomanagement mit Blick auf Kosten, Verfügbarkeit und Speicherdauer gewährleisten. Hinzu käme die Finanzierung von Netto-negativ-Emissionen. Diese Aufgaben sind technisch so anspruchsvoll, dass kaum zu erwarten ist, dass sie allein von der EU-Kommission erledigt werden können. Sie wären auch hinreichend „unpolitisch“, um sie einer Behörde von Experten anzuvertrauen. Eine Möglichkeit wäre also die Schaffung einer Europäischen Kohlenstoffzentralbank, die mit diesen Aufgaben betraut wird. Diese könnte auch ein „Lender of last resort“ werden, falls sich der Emissionshandel mit den nicht permanenten CO2-Entnahmen bezüglich der Dauerhaftigkeit verspekuliert. Mit einer solchen neuen Zentralbank könnte die EU den Übergang zu einer Volkswirtschaft mit langfristig netto-negativen Emissionen meistern.

 

About the author(s)
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer is Director of the Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Director and Chief Economist of the Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK), and Professor of the Economics of Climate Change at the Technische Universität Berlin. He also served as Co-Chair of Working Group III of the IPCC’s Fifth Assessment Report.

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Prof. Dr. Matthias Kalkuhl

Prof. Dr. Matthias Kalkuhl is Co-Chair of MCC and head of the MCC working group Economic Growth and Human Development and Professor of Climate Change, Development and Economic Growth at the University of Potsdam. He advised the German Ministry of Economic Cooperation and Development and contributed to the IPCC’s Special Report on Renewable Energy Sources.

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Dr. Max Franks

Dr. Max Franks is a senior scientist in the Future Lab “Public Economics and Climate Finance” at the Potsdam Institute for Climate Impact Research, and at the Technische Universität Berlin. His main research interests are on carbon pricing, carbon dioxide removal and distributional impacts of climate policy.

Friedemann Gruner

Friedemann Gruner is a PhD in the MCC working group Economic Growth and Human Developement and at the Berlin School of Economics. His research focuses on the public economics of carbon dioxide removal policies. Prior to joining MCC, Friedemann studied Economics at the Humboldt University of Berlin and the Toulouse School of Economics. He holds a MSc in Economics from HU Berlin and a BSc in International Economics from the University of Tuebingen.

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Dr. Kai Lessmann

Dr. Kai Lessmann is head of the research group “FutureLab Public Economics and Climate Finance” at the Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK).

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