Das CO2 muss aus der Atmosphäre

CO2 für Gewächshäuser: Luftfilter-Anlage von Climeworks in Hinwil in der Schweiz. Sie wurde Mitte Oktober 2022 stillgelegt, zugunsten größerer Projekte mit Mineralisierung des CO2. | Photo: Climeworks/Dunlop

Es ist zu spät, um die Klimaziele mit der Abkehr von fossiler Energie zu erreichen. Europa sollte mehr in Technologien investieren, die CO2 aus der Luft holen, mahnt Sabine Fuss.

Im Kampf gegen die Klimakrise reicht die Abkehr von fossilen Energieträgern allein nicht mehr aus. Vielmehr wird ein Teil der Treibhausgase, die ausgestoßen werden, durch Entnahmen von CO2 aus der Atmosphäre ausgeglichen werden müssen.

Das Ausmaß der nötigen Entnahmen kann durch Fortschritte beim Klimaschutz begrenzt werden. Dabei gilt es nicht nur, das Energieangebot zu dekarbonisieren, sondern auch die Energienachfrage zu drosseln – durch Verhaltensänderungen bei Mobilität, Wohnen und Ernährung. Die Berichte des Weltklimarats zeigen deutlich: Um die von der Weltgemeinschaft im Pariser Abkommen beschlossenen Klimaziele ohne CO2-Entnahmen zu erreichen, ist es mittlerweile zu spät.

Welche Technologien stehen also für die Entnahme des CO2 aus der Atmosphäre zur Verfügung? In Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern setzt man vor allem auf die sogenannten Landsenken, also Wälder, Böden und Moore.

Die natürlichen Potenziale sind begrenzt

Die stillschweigende Annahme lautet: Diese Landsenken werden sich in dem Maße vergrößern lassen, in dem nach umfassenden Klimaschutzmaßnahmen noch Restemissionen anfallen. Das CO2 kann zum Beispiel entzogen werden durch Wiederaufforstung oder auch durch Praktiken in der Landwirtschaft, die den Bodenkohlenstoffgehalt erhöhen. Diese Praktiken erfreuen sich großer öffentlicher Akzeptanz – meist mit positiven Nebeneffekten auf andere Ökosystemdienstleistungen, etwa im Zusammenhang mit Biodiversität. Außerdem sind die Kosten dabei überschaubar, und es gibt dazu einen großen Erfahrungsschatz an technischem Know-how.

Jedoch stellt sich angesichts von begrenzten Landflächen die Frage der Skalierbarkeit. Zudem ist angesichts des fortschreitenden Klimawandels und einer größeren Häufigkeit von Wetterextremen, Dürren, Waldbränden und Schädlingsbefall fraglich, ob das CO2 lange genug gebunden bleibt und somit langfristig ein Ausgleich für Restemissionen geschaffen wird.

Aus diesen Gründen muss man ergänzend über andere Optionen wie die Anwendung von Pflanzenkohle oder das Beschleunigen von natürlichen Verwitterungsprozessen sprechen. Insbesondere sind hierbei zwei Technologien hervorzuheben, die auf geologische Speicherung von CO2 setzen.

BECCS und DACCS

Bei der einen Technologie wird das Klimagas in Biomasse gespeichert. Wenn die zu Strom oder Biosprit verwandelt wird, wird es wieder freigesetzt und dann aufgefangen und gespeichert (BECCS – Bio Energy with Carbon Capture and Storage). Bei der anderen wird es mittels eines chemischen Prozesses direkt aus der Luft gefiltert (DACCS – Direct Air Carbon Capture and Storage).

Mit diesen beiden Technologien lässt sich das CO2 lange speichern. Aber sie sind derzeit noch teuer, insbesondere DACCS. Außerdem stößt die Idee, das CO2 unterirdisch zu speichern, vielerorts auf Skepsis. Immerhin setzen Norwegen, Großbritannien und die Niederlande schon jetzt darauf, dass Speicher notwendig werden, und investieren in Überkapazitäten an Speicherraum in der Nordsee.

Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, auf die USA zu schauen. Durch das im August beschlossene gigantische Klimapaket „Inflation Reduction Act“ stellt Amerika einmal mehr unter Beweis, dass es bei populären Zukunftsthemen gern klotzt, statt zu kleckern. Szenarien aus der Wissenschaft zeigen sehr deutlich: Wenn wir uns im Portfolio der eingesetzten Technologien zu sehr beschränken, haben wir im Ergebnis sowohl höhere Klimaschutzkosten als auch weniger nachhaltige CO2-Entnahmen.

Völlig neuartige Geschäftsmodelle

Für eine ausreichende Skalierung von Entnahmetechnologien braucht es aber ein deutliches Preissignal für CO2: Es muss teurer werden, Klimagas in die Atmosphäre zu entlassen – und es muss umgekehrt durch negative CO2-Preise lukrativ werden, Klimagas zurückzuholen.

Bisher ist das Geschäft mit der CO2-Entnahme nur eine Marktnische. Die bekannte Schweizer Luftfilterfirma Climeworks etwa verkaufte das gewonnene CO2 in der Startphase an andere Industriezweige weiter – zum Beispiel an Gewächshäuser, was natürlich keine permanente Speicherung bedeutet. Um die großen Mengen an Treibhausgasentnahmen zu bewältigen, die Mitte des Jahrhunderts realisiert werden müssen, wenn die EU klimaneutral sein will, müssen völlig neuartige Geschäftsmodelle entwickelt werden.

Hier ist die Politik gefragt. In welche Richtung es gehen könnte, machen die Schweden vor. Sie organisieren Auktionen – und versteigern die Aufträge für die künftig notwendigen CO2-Entnahmen an diejenigen Firmen, die den Auftrag zu den geringsten Kosten erledigen.

Zuerst erschienen am 14. November 2022 im „Handelsblatt“.

About the author(s)
Prof. Dr. Sabine Fuss

Prof. Dr. Sabine Fuss is Co-Chair of MCC and head of the MCC working group Sustainable Resource Management and Global Change. She has studied international economics, completed a PhD on the energy sector, and holds a professorship at Humboldt University of Berlin. She was lead author of the IPCC Special Report on Global Warming of 1.5°C.

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