Chinas unterschätzte Weichenstellung

Investition mit Folgen: Bau eines Kohlekraftwerks, hier 2017 in Kutai Timur, Indonesien. | Photo: Shutterstock/sukaman

Die Ankündigung von Präsident Xi Jinping, im Ausland keine Kohlekraftwerke mehr zu bauen, ist eine Zäsur – mit Signalwirkung für andere Länder.

In vielen Ländern finanzieren chinesische Banken und Investoren den Bau von Kohlekraftwerken. Präsident Xi Jinpings Ankündigung, diese Praxis aufzugeben, ist eine Wende, deren Tragweite vielfach unterschätzt wird. Ohne den globalen Ausstieg aus der Kohleverstromung ist es nicht mehr vorstellbar, die internationalen Klimaschutzziele zu erreichen. Doch die weltweit verfügbare Kohlekapazität wächst weiter. Neben China setzen vor allem schnell wachsende Entwicklungs- und Schwellenländer in Asien und Afrika auf Kohle, um ihren Energiehunger zu stillen.

Würden alle geplanten Kraftwerke tatsächlich realisiert, stießen sie zusammen mit den bereits bestehenden Kraftwerken noch 300 Milliarden Tonnen CO2 aus – das würde das global noch verfügbare Kohlenstoffbudget zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nahezu aufbrauchen. Selbst das Zwei-Grad-Ziel geriete in Gefahr.

Zurzeit baut China außerhalb der Volksrepublik Kohlekraftwerke mit insgesamt 15 Gigawatt Leistung. Für die kommenden Jahre sind zusätzliche Kohlekraftwerke in ähnlicher Größenordnung geplant. Die meisten Projekte hängen von chinesischer Technologie ab, etwa Turbinen und Generatoren. Zum Vergleich: In Deutschland sind Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 42 Gigawatt am Netz.

Zwei Staatsbanken dominieren das Geschäft

Außerdem spielt China auch bei der Finanzierung eine wichtige Rolle. Chinesische Banken stellen Kredite für 20 Gigawatt Kohlekapazität im Ausland zur Verfügung, die derzeit gebaut werden. Hinzu kommen Kredite für geplante 46 Gigawatt. Zwei Staatsbanken stehen für rund 60 Prozent der chinesischen Finanzierung: die China Development Bank und die Export-Import Bank of China. Neben Krediten gibt es auch noch Bürgschaften für Kohlekraftwerke im Ausland.

Man muss sich die Größenordnung einmal klarmachen: Deutschland stößt derzeit, über alle Sektoren gerechnet, jährlich gut 710 Millionen Tonnen CO2 aus. Sollte sich China tatsächlich komplett aus dem Geschäft mit Kohlekraftwerken im Ausland zurückziehen, würde das der Welt geschätzte zwölf Milliarden Tonnen CO2 ersparen. Diese Menge würde emittiert, wenn die von China unterstützten im Bau befindlichen und geplanten Kraftwerke tatsächlich ans Netz gingen und bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Laufzeit liefen.

Noch ist nicht ganz klar, ob sich Xis Ankündigung in der Uno-Generalversammlung nur auf Bauvorhaben im Ausland oder auch auf deren Finanzierung bezieht. Doch mit Blick auf historische Erfahrungen, Chinas politische Ökonomie und die aktuelle Dynamik der Klimapolitik spricht viel für die umfassende Lesart. International wird der Präsident nun auf jeden Fall daran gemessen, dass sich das Land aus der Kohle zurückzieht.

Debatten in Pagistan, Bangladesch und Vietnam

Auch für das nationale Publikum hat Xi ein Zeichen gesetzt, an dem niemand mehr vorbeikommt. Schon unmittelbar nach der Ankündigung im September zog sich die Bank of China aus entsprechenden Neubauprojekten zurück – eine kommerzielle chinesische Bank mit eher geringem Marktanteil bei internationalen Projekten, aber dennoch ein ermutigendes Signal.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Signalwirkung für andere Länder, die momentan noch in Kohlekraftwerke investieren oder zumindest mit dem Gedanken spielen. Unsere aktuellen Interviews mit Fachleuten und Regierungsvertretern in der Region zeigen: In vielen Ländern zeichnet sich jetzt die Tendenz ab, Kohlepläne aufzugeben und stattdessen vermehrt auf Erdgas und erneuerbare Energien zu setzen. Pakistan oder Bangladesch etwa, die stark von chinesischer Finanzierung und Technologie abhängen, diskutieren in aller Öffentlichkeit einen Rückzug aus geplanten Kohleprojekten. In beiden Ländern stammen mehr als 80 Prozent der Kredite für den Bau von Kohlekraftwerken aus China. In Vietnam gibt es ähnliche Debatten, auch die türkischen Kohlepläne werden ohne chinesische Unterstützung voraussichtlich ad acta gelegt.

Auf internationaler Ebene gibt es für staatliche Finanzierung inzwischen kaum noch Alternativen zu China. Südkorea und die G7-Staaten haben schon vor Monaten angekündigt, die öffentliche Finanzierung von Kohlekraftwerken im Ausland einzustellen. Ohne Unterstützung der großen Geberstaaten ist es unwahrscheinlich, dass Länder, die noch keine Kohlekraftwerke gebaut haben, jetzt noch auf den Kohle-Zug aufspringen. Dazu gehört auch eine Reihe afrikanischer Staaten, die vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie größere Pläne hatten, neue Kohlekraftwerke zu bauen.

Beharrungskräfte in Indonesien und Indien

Auch wenn sich tatsächlich eine globale Wende abzeichnet – die Gefahr, dass die Kohlenutzung den Kampf gegen die Erderhitzung scheitern lässt, ist noch nicht gebannt. In China selbst, dem mit Abstand weltgrößten Kohlenutzer, sind aktuell 88 Gigawatt Kraftwerkskapazität im Bau und weitere 158 Gigawatt geplant. In Indien hängen Millionen Arbeitsplätze an der Kohle, vor allem in den strukturschwachen östlichen Bundesstaaten.

Indonesien wiederum ist bei der Finanzierung seines Staatshaushalts auf Einnahmen aus dem Kohleverkauf angewiesen, sinkende Nachfrage auf den internationalen Märkten setzt die politische Führung in Jakarta unter Druck, die Ressource verstärkt im eigenen Land zu nutzen. Jakarta und Neu-Delhi sind vergleichsweise wenig von chinesischer Finanzierung abhängig. Der indische Finanzsektor ist vielmehr so tief in die Finanzierung von Kohlekraftwerken verstrickt, dass ein möglicher Kohleausstieg sogar eine Bankenkrise auslösen könnte.

Zum Gesamtbild gehört auch: In China wird die Debatte gerade vom hohen Kohlepreis dominiert und von den daraus folgenden, kostenbedingten Stromabschaltungen in mehreren Provinzen. Kohle – lange Zeit Garant für wirtschaftliches Wachstum und energiepolitische Stabilität – wird in China zunehmend zur Achillesferse des Aufschwungs.

Es kommt jetzt auch auf den Westen an

In jedem Fall ist durch Xis Intervention mächtig Bewegung in die internationale Kohlefrage gekommen – ob das Momentum genutzt wird, hängt jetzt auch von den reichen Ländern des globalen Nordens ab. Hier, auch in Deutschland, gibt es noch private Banken und Investoren, die trotz des Auslaufens staatlicher Finanzierung weiter Geld für neue Kohlekraftwerke bereitstellen. Die G7 könnte das zum Thema machen – und gleichzeitig die Beendigung der Kohlenutzung in Entwicklungs- und Schwellenländern finanziell unterstützen.

Wie viel politische Sprengkraft ein Kohleausstieg birgt, wissen gerade wir Deutschen: Kohlearbeiter, betroffene Regionen und die auf niedrige Energiepreise hoffende Industrie müssen mit eingebunden werden, der Ausstieg muss politisch organisiert und sozial abgefedert werden. Hinzu kommen massive Investitionen in Kohle- Alternativen wie Wind und Solar, in Netze und Speicher.

Ein wichtiges Ziel für die Glasgower Klimakonferenz im November muss es daher sein, dass die westlichen Länder ihre Zusagen einhalten und pro Jahr wie versprochen mindestens 100 Milliarden Dollar für grüne Investitionen in armen Ländern zur Verfügung stellen. Aus Sicht der reichen Länder ist das kein rausgeworfenes Geld. Klimaschutz ist schließlich wesentlich preiswerter als die Beseitigung von Klimakatastrophen-Schäden.

 

Zuerst erschienen am 25. Oktober 2021 im „Handelsblatt“.

About the author(s)
Prof. Dr. Jan Steckel

Prof. Dr. Jan Steckel heads the working group “Climate and Development” at MCC. He is also a professor of climate and development economics at BTU Cottbus. His research focuses on climate mitigation in the Global South. He contributed to IPCC reports, and led a chapter on coal for the UNEP emissions gap report 2017.

Learn more...
Niccolò Manych

Niccolò Manych is PhD candidate and researcher in the MCC working group Climate and Development with a focus on the political economy of energy transition and on international financing for coal plants. He studied industrial engineering with a focus on energy and resource management at the TU Berlin and the Universiteit Twente.

Related topics