So bringt Europa die Klimapolitik trotz Gegenwind voran

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Am 13. September 2023 gibt sie ihre „Rede zur Lage der Union“ den Takt für die nächsten Monate vor – hier das Bild von der Rede im Vorjahr. | Foto: © European Union, 2022

Die EU mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kämpft mit Gegenwind bei der Klimapolitik. Es gibt drei politische Großbaustellen, schreibt MCC-Direktor Ottmar Edenhofer.

In ihrer „Rede zur Lage der Union“ am 13. September wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Takt für die verbleibenden Monate ihrer laufenden Amtszeit vorgeben. Die Erfolge des Europäischen Green Deal mit dem erklärten Ziel Klimaneutralität 2050 wird sie zweifellos erwähnen. Doch sie weiß auch, dass es hier zunehmend Gegenwind gibt.

Im Mai warb Frankreich für eine „regulatorische Pause“ beim Klimaschutz. Polen versucht gar, beschlossene Gesetzestexte über den Europäischen Gerichtshof wieder aufzuschnüren. Der nächstes Jahr fällige Kommissionsvorschlag über ein verbindliches Klimaziel 2040 birgt Sprengkraft: Europa könnte sich über immer ehrgeizigere Reduktionsziele entzweien.

Es wäre falsch, wenn man jetzt auf halbem Weg stehen bliebe. Die USA mit ihrem im Inflation Reduction Act gebündelten Subventionspaket für grüne Technologien drohen Europa ins industriepolitische Abseits zu stellen. Zugleich führte die Biden-Regierung das Land zurück an den Tisch der internationalen Klimadiplomatie. Die EU steht unter Zugzwang. Für das Leuchtturmprojekt Green Deal ergeben sich daraus drei politische Großbaustellen.

Baustelle eins: Europäische Kohlenstoff-Zentralbank. Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist es unverzichtbar, die CO2-Entnahme rasch zur zweiten Säule des Klimaschutzes auszubauen, neben dem schnellen Absenken der Emissionen in Richtung null. Traditionell betrifft das die Forst- und Landwirtschaft. Es stellt sich aber das Problem des Hochskalierens – und es muss die Dauerhaftigkeit im Blick sein, denn sobald entnommenes CO2 wieder entweicht, ist der Nutzen ja gleich null. Helfen können auch neuartige Entnahmeverfahren, etwa die Direktentnahme über Luftfilteranlagen, sowie unterirdische Speicherung. In leer gepumpten Erdgas-Reservoirs kann CO2 mit überschaubaren Risiken sogar für Jahrtausende eingelagert werden.

Bisher fehlen die richtigen finanziellen Anreize, damit die nötigen Kapazitäten für CO2-Entnahme und Speicherung rechtzeitig bereitstehen. Um diesen Zukunftsbereich aufzubauen, ist die Gründung einer Europäischen Kohlenstoff-Zentralbank sinnvoll. Sie sollte zusammen mit anderen nachgelagerten EU-Behörden die Beschaffung und Qualitätssicherung der Entnahmen organisieren. Im Zuge von Auktionen würde sie jene Anbieter identifizieren, die das CO2 zu den geringsten Kosten entnehmen, und bei der Bewertung der Entnahmen auch die Dauerhaftigkeit mit einkalkulieren. Und sie würde dieses Angebot dann im EU-Emissionshandel mit der Nachfrage von Akteuren zusammenbringen, die für unvermeidbare Rest-Emissionen Ausstoßrechte benötigen.

Baustelle zwei: die Landwirtschaft. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU hat sich bei der Verringerung der Treibhausgase bisher nicht bewährt – sie setzte für die Landwirtschaft zu wenig Anreize, Emissionen zu vermindern und Kohlenstoffsenken bereitzustellen. Der Europäische Rechnungshof bemängelte 2021, dass das Verursacherprinzip im Agrarsektor nicht eingehalten wird.

Dabei wurde das wohl wichtigste Instrument zur Anwendung des Verursacherprinzips bereits 2005 gestartet: der europäische Emissionshandel. Zunächst nur für Stromwirtschaft und Industrie – aber 2027 startet, wie jüngst beschlossen, ein zweiter Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr (in den dann die nationale CO2-Bepreisung in Deutschland mündet). Der Weg ist damit vorgezeichnet: Ergänzt um einen Grenzausgleichsmechanismus zum Schutz der heimischen Landwirtschaft vor unfairem globalem Wettbewerb könnte ein dritter Emissionshandel auch den Agrarsektor endlich auf Kurs bringen.

Baustelle drei: internationale Klimapartnerschaften. Die USA werden bald erkennen, dass die im Inflation Reduction Act praktizierte grüne Industriepolitik nicht ausreicht, um den nationalen CO2-Ausstoß wie erforderlich zu senken. Auch dort ist ja inzwischen das Ziel die Klimaneutralität 2050. Die Subventionen in fossilfreie Technologien müssten weiter drastisch hochgefahren werden, und dafür fehlt das Geld. Als effektives Steuerungsinstrument für den Rückbau des fossilen Kapitalstocks ist eine CO2-Bepreisung unerlässlich – und das ginge am besten über eine Klima-Allianz mit der EU: Sobald sich die abzeichnet, könnte man in den USA politisch auf einen CO2-Mindestpreis hinarbeiten.

Die EU sollte also auch hier aktiver werden. Internationale Anschlussfähigkeit macht Tempo beim Klimaschutz. Das gilt auch in Bezug auf den globalen Süden, vor allem beim Kohleausstieg: Nicht alle Staaten können den allein stemmen, doch mit den Just Energy Transition Partnerships gibt es ein vielversprechendes Kooperationswerkzeug. Auf der anstehenden Klimakonferenz in Dubai sollten Europa und Amerika weitere Partnerschaften anstoßen.

Wer jetzt den European Green Deal aussetzt oder verzögert, bürdet den künftigen Generationen zusätzliche Lasten auf. Und enttäuscht heute die Erwartungen der Investoren, die tatkräftig in neue Technologien investieren. Europa braucht ambitionierte Klimapolitik mit Blick für die großen Linien, Offenheit für den nötigen Strukturwandel und Entschlossenheit für sozialen Ausgleich.

 

 

About the author(s)
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer is Director of the Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Director and Chief Economist of the Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK), and Professor of the Economics of Climate Change at the Technische Universität Berlin. He also served as Co-Chair of Working Group III of the IPCC’s Fifth Assessment Report.

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