Deutschland, das gefährliche Vorbild

Die Erneuerbaren boomen in Deutschland und weltweit – die Kohle auch. Entwicklungs- und Schwellenländer können von uns lernen: wie man die Klimawende besser nicht angeht.

Der rasante globale Aufstieg der erneuerbaren Energien wird zu Recht gefeiert. Doch der Ausbau von Wind- und Solaranlagen darf nicht den Blick auf das Wesentliche verstellen: Schafft die Welt – und damit Deutschland – den Ausstieg aus der Kohle nicht, wird das Pariser Klimaschutzabkommen zur Makulatur.

Vor allem die Schwellen- und Entwicklungsländer könnten aus den deutschen Fehlern lernen: Obwohl hierzulande die erneuerbaren Energien stark subventioniert und ausgebaut worden sind, sind die Emissionen kaum gesunken, vor allem weil der Strom zu großen Teilen noch aus Kohle kommt. Dieses janusköpfige Energiesystem – ein hoher Anteil von emissionsarmen Erneuerbaren auf der einen, emissionsintensive Kohle auf der anderen – droht nun ein Vorbild für weite Teile der Welt zu werden.

Die fallenden Kosten für erneuerbare Energien allein reichen nicht aus, um die Kohleverstromung zu beenden, obwohl die Bedingungen für Wind und Sonne weltweit günstig sind. Im Jahr 2016 wurde – global gesehen – mehr Kapazität aus den Erneuerbaren installiert und ans Netz genommen als aus fossilen Energieträgern. Die Kosten sanken zuletzt deutlich schneller, der Ausbau schritt wesentlich schneller voran als selbst die optimistischsten Modelle angenommen hatten.

In unserer Forschung am MCC konnten wir zeigen, dass 2050 der Anteil von Fotovoltaikanlagen an der globalen Stromversorgung mehr als dreimal so groß sein könnte wie bislang angenommen. Der Anteil der Solarenergie dürfte statt bei 5 bis 17 Prozent eher bei 30 bis 50 Prozent liegen – und zwar selbst dann, wenn der globale Strombedarf weiter zunimmt. In manchen Gegenden der Welt, wie etwa in Indien, ist eine Kilowattstunde aus Wind oder Sonne heute schon günstiger zu produzieren als eine Kilowattstunde aus Kohle.

Zu viele neue Kohlekraftwerke

Aber: Beim globalen Klimaschutz kommt es auf die kumulierten Emissionen an. Jede Tonne zählt. Vor allem Schwellenländer ­– wie Vietnam, Indien oder Indonesien – investieren massiv in zusätzliche Kohlekapazitäten. Werden all diese Kohlekraftwerke gebaut, würde ein erheblicher Teil des der Menschheit noch zur Verfügung stehenden Emissionsbudgets von etwa 800 Gigatonnen CO2 aufgebraucht. Zählt man alle bestehenden, im Bau befindlichen und geplanten Kraftwerke zusammen, würden durch deren lange Laufzeit kumulierte Emissionen von über 300 Gigatonnen entstehen.

Dass die Kohle den schnell wachsenden Schwellen- und Entwicklungsländern als so billig erscheint, liegt auch an den vergleichsweise hohen Finanzierungskosten für die Erneuerbaren in diesen Ländern. Das ist äußerst relevant, weil die Kapitalkosten oft über Investitionen entscheiden. In vielen armen Ländern sind die Risiken und die Kreditzinsen für Erneuerbare derzeit sehr hoch. Deshalb spielen ihre Vorteile – keine Kosten für Brennstoffe, keine CO2-Zertifikate, keine Luftverschmutzung – aus der Sicht der Investoren kaum eine Rolle. So wird der Einsatz klimafreundlicher Stromerzeugung in Schwellen- und Entwicklungsländern durch hohe Kapitalkosten stark behindert.

Gleichzeit sind auch politische Interessen eng mit der Kohle verbunden. So wird Kohle zum Beispiel in Südafrika subventioniert, um sie wettbewerbsfähig zu halten. Dort wie in vielen anderen Ländern ist der Kohlesektor zudem ein wichtiger Arbeitgeber. Zwar kann Solarenergie pro Kilowattstunde unter Umständen mehr Arbeitsplätze schaffen. Allerdings verbirgt eine solche abstrakte Statistik, dass diese Jobs nicht gut miteinander verrechnet werden können: Sie entstehen nämlich meist in ganz anderen Regionen und für ganz anders qualifizierte Fachkräfte.

Es bedarf daher zusätzlicher Politikinstrumente, die auf die besondere Situation der einzelnen Länder eingehen. CO2-Preise, die über Steuern oder Emissionshandelssysteme realisiert werden können, sind ein zentraler Baustein, um Kohlekraftwerke schnell aus dem Markt zu nehmen. Ein CO2-Preis wirkt sowohl auf zukünftige als auch auf bestehende Kraftwerke. Er verursacht Zusatzkosten für jede Kilowattstunde Kohlestrom und macht sie so weniger wettbewerbsfähig. Durch ihre hohe Kohlenstoffintensität wird Kohle zudem vergleichsweise stärker belastet als etwa Erdgas – erneuerbare Energieträger werden im Vergleich noch attraktiver. Und Kohlenstoffpreise machen die Kosten der Treibhausgase für alle sichtbar.

Für die Bundesregierung wird es daher auch darauf ankommen, das Europäische Emissionshandelssystem zu reformieren und die – zurzeit zu niedrigen – Preise zu erhöhen. Ein unter anderem von der französischen Regierungen vorgeschlagener Mindestpreis kann gewährleisten, dass emissionsintensive Kohle zunehmend unattraktiv wird.

Damit der globale Kohleausstieg gelingt, benötigen vor allem die schnell wachsenden Länder Unterstützung. Günstige Kredite – auch aus Deutschland – für kapitalintensive, aber kohlenstoffarme Energien, den Netzausbau und den Aufbau von Speichern können helfen, Alternativen zur Kohle wettbewerbsfähiger zu machen. Gleichzeitig sollte die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass über Hermesbürgschaften oder über Entwicklungsbanken keine weiteren Kohlekraftwerke in Schwellenländern mehr finanziert werden.

Andere Staaten beobachten sorgsam, wie Deutschland bei einem Kohleausstieg den Strukturwandel begleitet – und welche Vorbildfunktion das für die Schwellen- und Entwicklungsländer haben kann. Denn nicht nur in der Lausitz und im Rheinischen Revier spielt die Kohle eine bedeutende identitätsstiftende Rolle, sondern auch in West Kentucky oder in vielen Regionen Chinas. Inwieweit die Kohlearbeiter, die Mitarbeiter energieintensiver Unternehmen und auch ärmere Haushalte in den Kohleausstieg eingebunden werden, wird mit über den sozialen und ökonomischen Erfolg entscheiden. 

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine leicht geänderte Fassung eines Artikels, der zuvor auf "ZEIT ONLINE" erschienen ist.

About the author(s)
Prof. Dr. Felix Creutzig

Prof. Dr. Felix Creutzig is head of the MCC working group Land Use, Infrastructures and Transport and Professor of Sustainability Economics at Technische Universität Berlin. He is Coordinating Lead Author of the upcoming Sixth Assessment Report (AR6) of the IPCC and was Lead Author of AR5.

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Prof. Dr. Jan Steckel

Prof. Dr. Jan Steckel heads the working group “Climate and Development” at MCC. He is also a professor of climate and development economics at BTU Cottbus. His research focuses on climate mitigation in the Global South. He contributed to IPCC reports, and led a chapter on coal for the UNEP emissions gap report 2017.

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